Regale leergestreikt

Seit neun Tagen streiken in Kolumbien landesweit Hunderttausende Bauern und Landarbeiter, unterstützt durch Fernfahrer, Studenten und andere Bevölkerungsteile. In zahlreichen Regionen kommt es seit Montag vergangener Woche zu Demonstrationen und Kundgebungen, aber auch zur zeitweiligen Blockade wichtiger Fernverkehrsstraßen. Zu dem Ausstand aufgerufen hatten Bauernverbände, Indígena-Vereinigungen, das Linksbündnis Marcha Patriótica und Gewerkschaften. Immer wieder kam es dabei in den vergangenen Tagen auch zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften.

 

Der wichtigste Gewerkschaftsverband des südamerikanischen Landes, die CUT, hat nun die Regierung aufgefordert, die »brutale Unterdrückung« der sozialen Proteste einzustellen. In einer am Freitag (Ortszeit) in Bogotá veröffentlichten Erklärung klagen CUT-Präsident Luis Alejandro Pedraza und Generalsekretär Tarsicio Rivero Muñoz vor der »nationalen und internationalen Öffentlichkeit« über »Schläge ohne Ende, unprovozierte Übergriffe, Razzien und Plünderungen, willkürliche Festnahmen und viele weitere Formen der Repression und Einschüchterung« durch die staatlichen Sicherheitskräfte gegen Streikende und Demonstranten.

Hintergrund der Proteste, die zunächst offiziell nur auf zwei Tage angesetzt gewesen waren, ist die ungerechte Landverteilung in Kolumbien. Während Viehzüchter und internationale Großkonzerne riesige Ländereien besitzen, fehlt den meisten Kleinbauern ein eigenes Stück Boden, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Hinzu kommen Tausende Menschen, die im Zuge des seit Jahrzehnten anhaltenden Krieges von ihrem Land vertrieben wurden. Die Großgrundbesitzer haben in der Vergangenheit vielfach auf die Hilfe der paramilitärischen Banden zurückgegriffen, um sich die Grundstücke von Kleinbauern widerrechtlich anzueignen und so ihre eigenen Latifundien noch weiter auszudehnen. Gefordert wird von den Streikenden unter anderem mehr finanzielle Unterstützung durch den Staat sowie eine Rückkehrmöglichkeit für die Vertriebenen.

Es ist kein Zufall, daß die Protestwelle Kolumbien gerade jetzt erfaßt. In Havanna verhandeln seit knapp einem Jahr eine Delegation der Regierung von Staatspräsident Juan Manuel Santos und Abgesandte der FARC-Guerilla über einen politischen Ausweg aus dem Krieg. Ein zentrales Thema dieser Gespräche ist eine Agrarreform – auch für die Guerilla das entscheidende Thema. Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens sind aus Selbstverteidigungsgruppen hervorgegangen, mit denen sich Bauern schon Anfang der 60er Jahre gegen den Terror der Grundherren und die sie unterstützende Regierung gewehrt hatten. So erklärten die FARC in einem vom lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur verbreiteten Kommuniqué ihre ausdrückliche Solidarität mit dem Ausstand. Demgegenüber ordnete Santos am vergangenen Freitag eine Unterbrechung der Verhandlungen in Havanna an und rief seine Delegation nach Hause zurück. Das weckte Befürchtungen über ein Scheitern der Gespräche, auch wenn der Präsident am Sonntag seine Vertreter wieder in die kubanische Hauptstadt zurückgeschickt hat.

In Bogotá kam es in den vergangenen Tagen zu Auseinandersetzungen zwischen Sondereinheiten der Polizei und Studenten der Nationalen und der Pädagogischen Universität, die aus Solidarität mit den Streikenden auf die Straße gegangen waren. Auch 300000 Lastwagenfahrer haben sich landesweit dem Ausstand angeschlossen, um die Forderungen der Bauern zu unterstützen. Enrique Virviescas von der Transportarbeitergewerkschaft erklärte in Bogotá gegenüber Journalisten der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina, man habe sich auf die Seite der Bauern gestellt, weil man selbst von diesen abhängig sei. Konkret fordern die LKW-Fahrer von der Regierung günstigere Benzinpreise. Wegen drastischer Kostensteigerungen hatten rund 340000 Transporteure schon im vergangenen März für mehrere Tage die Arbeit niedergelegt. Medienberichten zufolge ist inzwischen in zahlreichen Landesteilen der Lieferungsausfall spürbar, in den Geschäften leeren sich die Regale.

Clara López, Vorsitzende des Linksbündnisses Alternativer Demokratischer Pol (PDA), forderte den Staatschef zu Dialogbereitschaft auf, um die Krise zu bewältigen. Die Politikerin wies darauf hin, daß die meisten Demonstrationen der Streikenden organisiert und gewaltfrei abgelaufen seien. Man dürfe die Protestierenden deshalb nicht wegen abzulehnender Verhaltensweisen einzelner oder auf Grund von Überreaktionen auf die Gewalt der Polizei stigmatisieren. Nötig sei vielmehr, einen Gesprächskanal zu eröffnen, um konkret auf die Forderungen der Streikenden einzugehen. Santos zeigte sich am vergangenen Samstag offen für solche Gespräche, sofern die Straßenblockaden vor allem in Tunja im zentralkolumbianischen Boyacá aufgehoben würden. Dann werde er »unsere Bauern im Präsidentenpalast empfangen«, ließ er die Öffentlichkeit über den Internetdienst Twitter wissen. Mehrere Parlamentarier aus den von den Protesten besonders betroffenen Regionen des Landes hatten Santos zuvor aufgefordert, den Forderungen der Demonstranten Aufmerksamkeit zu schenken.

Erschienen am 27. August 2013 in der Tageszeitung junge Welt