Rechtsruck in Chile

Das Rennen um die Präsidentschaft in Chile entscheidet sich zwischen dem Kandidat der Rechten, Sebastián Piñera, und dem Vertreter des Mitte-Links-Bündnisses »Concertación«, Eduardo Frei. Zum ersten Mal nach dem Ende der Pinochet-Diktatur 1989 gelang es bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag einem Vertreter der Rechten, die Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinigen. Mit 44,03 Prozent lag Piñera deutlich vor seinem Konkurrenten Frei, der nur auf 29,62 Prozent kam, verpaßte jedoch die absolute Mehrheit, um im ersten Wahlgang gewählt zu werden. Viele Chilenen sehen mittlerweile offenbar eine Rückkehr der Rechten an die Regierung als weniger schlimm an als ein »weiter so« unter der »Concertación«, die einst als Bündnis aller Demokraten zur Überwindung der Pinochet-Diktatur gegründet worden war. Darauf deutet auch der Achtungserfolg des unabhängigen Kandidaten Marco Enríquez-Ominami hin, der mit 20,12 Prozent einen starken dritten Platz errang. Der von Kommunisten und Christlicher Linken unterstützte Jorge Arrate erreichte 6,12 Prozent.
Am 17. Januar werden sich die beiden erstplatzierten Kandidaten in einer Stichwahl gegenüber stehen. Obwohl die drei nominell linken Kandidaten zusammen rein rechnerisch eine bequeme Mehrheit gegenüber Piñera haben, ist das Rennen in dieser zweiten Runde nicht ausgemacht. In Umfragen hatte bis zu einem Drittel der Wähler von Enríquez-Ominami angekündigt, ihre Stimme dem Rechten zu geben. Diesem war es im Wahlkampf offenbar gelungen, sich als »neues« Gesicht gegenüber dem bereits zwischen 1994 und 2000 regierenden Christdemokraten Frei zu präsentieren. Dabei ist Piñera selbst seit Jahrzehnten in der chilenischen Politik präsent. Bereits 1992 war er in einen Skandal verwickelt, der als »Piñeragate« in die chilenische Geschichte eingegangen ist. Er war damals bei dem Versuch belauscht worden, ein Komplott gegen seine innerparteiliche Konkurrentin Evelyn Matthei zu schmieden. Doch bei der Präsidentschaftswahl 1999 war er schon wieder der Favorit seiner Partei »Nationale Erneuerung« (RN), verzichtete jedoch zugunsten von Joaquín Lavín von der rechtsextremen »Unabhängigen Demokratischen Union« (UDI). Bei den Wahlen an der Jahreswende 2005/2006 trat Piñera dann als Kandidat seiner Partei gegen die Sozialistin Michelle Bachelet an, mußte sich dieser jedoch geschlagen geben.

Es ist Piñeras Vorteil, daß die chilenische Verfassung eine unmittelbare Wiederwahl Bachelets verbietet, denn gegen die trotz Kritiken populäre Präsidentin hätte sich der Rechte wohl kaum durchsetzen können. Frei jedoch kann nach zwanzig Jahren Regierungszeit der »Concertación« keinen Aufbruch verkörpern und muß darauf hoffen, daß die Wähler von Enríquez-Ominami und Arrate sich doch noch für das »kleinere Übel« entscheiden werden.

Der vor wenigen Monaten von der Sozialistischen Partei zu den Kommunisten gewechselte Jorge Arrate hatte bereits im Wahlkampf zu einem Minimalabkommen zwischen den drei »linken« Kandidaten aufgerufen, um in der Stichwahl eine Regierungsübernahme der Rechten zu verhindern. Seine Konkurrenten drückten sich jedoch davor, sich ebenfalls zu einer solchen Allianz zu bekennen. Auch nach der Wahl vermeidet Marco Enríquez-Ominami bislang eine klare Stellungnahme, obwohl er schon aus familiären Gründen eigentlich ein Interesse daran haben müßte, einen Durchmarsch Piñeras zu verhindern: Sein Vater war der 1974 von der Diktatur ermordete Generalsekretär der Bewegung der Revolutionären Linken (MIR), Miguel Enríquez. Auf seiner Homepage erklärte er jedoch mehrdeutig: »Ich bin nicht der Herr über eure Wünsche, ich bin nur der Überbringer von Botschaften, die ihr mir übergeben habt. Das macht es unmöglich, eure Stimmen irgendeinem anderen Kandidaten zu übergeben.«

Trotz des bescheidenen Ergebnisses ihres Präsidentschaftskandidaten sieht sich auch die Kommunistische Partei als Siegerin der Wahl. Bei der gleichzeitig durchgeführten Parlamentswahl gelang erstmals seit dem Militärputsch von 1973 mindestens drei Kommunisten der Einzug in die Deputiertenkammer. Der Vorsitzende der PCCh, Guillermo Tellier, ihr Generalsekretär Lautaro Carmona und der Menschenrechtsanwalt Hugo Gutiérrez konnten sich in ihren Wahlkreisen gegen die Vertreter der Rechten durchsetzen, nachdem ein Wahlbündnis mit der »Concertación« Konkurrenzkandidaturen vermieden hatte.

Erschienen am 15. Dezember 2009 in der Tageszeitung junge Welt