»Die Vertriebenen leben am Rand der Gesellschaft«. Ein Gespräch mit Ligia Uribe

Ligia Uribe ist Präsidentin der Assoziation lateinamerikanischer und aus der Karibik stammender Flüchtlinge (ARLAC) in Brüssel

Eine Statistik des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge geht davon aus, daß fast eine halbe Million Kolumbianer als Flüchtlinge im Ausland leben –mehrheitlich in Ecuador und Venezuela. Drei Millionen Menschen wurden außerdem innerhalb des Landes vertrieben – wie ist ihre Lage?

Die Mehrzahl der Vertriebenen sind Bauern, Indígenas und afrikanischstämmige Bürger, die vor allem in Großstädten untergekommen sind und dort die Elendsgürtel weiter wachsen lassen. Die Vertriebenen leben am Rand der Gesellschaft, sie kommen nicht in den Genuß öffentlicher Dienstleistungen, ihr Leben ist durch Krankheiten und Unterernährung gefährdet. Die Mehrheit von ihnen wird von den Paramilitärs verfolgt, viele wurden Opfer der »sozialen Säuberungskampagnen«, das heißt: Sie wurden ermordet.

Bei einer Konferenz informierten Sie kürzlich in Berlin über die Lage in Kolumbien und erklärten, eines der wichtigsten Ziele des schmutzigen Krieges und der US-Intervention sei, in Kolumbien die neoliberale Marktwirtschaft durchzusetzen. Ist es nicht eher so, daß der seit Jahrzehnten andauernde Krieg genau das verhindert, weil die Konzerne kein ruhiges Umfeld haben?

Der Krieg, den Kolumbien seit mehr als 60 Jahren erlebt, ist das Ergebnis der strategischen Pläne der USA, ihre Herrschaft nicht nur in Kolumbien, sondern in ganz Lateinamerika durchzusetzen. Beispiele dafür haben wir genügend erlebt: Studenten, Parteien, soziale Organisationen, Bauern, Arbeiter wurden verfolgt und kriminalisiert, es wurde eine Terrorwelle entfesselt, um das neoliberale Modell durchzusetzen – wie es in Argentinien und Chile schon geschehen ist.
Diese Interventionspläne konnten immer mit der vorbehaltlosen Unterstützung durch die verschiedenen Regierungen in Kolumbien rechnen. Seit den 80er Jahren hat die US-Regierung unter dem Namen »Plan Santa Fé IV« eine Strategie zur Rekolonialisierung Lateinamerikas entworfen. Deren Ziel ist es, den Vorrang von US-Investoren beim Zugriff auf die strategischen Ressourcen der Region zu sichern, vor allem in den Anden und am Amazonas.
1999 sagte die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright: »Um die Investitionen zu sichern, damit die Globalisierung funktioniert, dürfen die Vereinigten Staaten keine Angst davor haben, als unbesiegbare Supermacht zu agieren. Die unsichtbare Hand des Marktes funktioniert nicht ohne seine unsichtbare Faust. McDonalds kann nicht ohne McDonnellsDouglas, den Hersteller der F-15-Flugzeuge, expandieren.« Die multinationalen Konzerne brauchen Ruhe im Land, und die wollen sie mit Hilfe von Söldnern und privaten Sicherheitsfirmen aus den USA, Europa und Israel erreichen.
Einige Firmen, wie der US-Multi Drummond Coal, das größte Bergbauunternehmen des Landes, greifen auf die Dienste der kolumbianischen Todesschwadrone, der Paramilitärs, zurück. Sie stellen ihnen Geld, Lebensmitteln, Waffen und Ländereien zur Verfügung.

Welche Rolle spielt in dieser Situation die Einrichtung von sieben US-Militärbasen in Kolumbien?

Sie sollen erstens Krieg gegen den bewaffneten Widerstand führen. Zweitens ist damit beabsichtigt, Kolum­bien zur Operationsbasis gegen mißliebige Regierungen zu machen – gemeint sind vor allem Venezuela und die anderen Länder, die sich im ALBA-Bündnis zusammengeschlossen haben.

Wie könnte sich in Deutschland effektive Solidarität mit dem Kampf des kolumbianischen Volkes entwickeln?

Vom Oktober an wird es eine internationale Kampagne für die Menschenrechte und zur Verteidigung der 7 500 politischen Gefangenen in Kolumbien geben. Die Mehrheit von ihnen sind Bauern, Indígenas, Gewerkschafter und afrikanischstämmige Kolumbianer. Für uns wird es von großer Bedeutung sein, ob die politischen, sozialen, internationalistischen und Menschenrechtsorganisationen in Deutschland sich dieser Kampagne anschließen.

Erschienen am 27. August 2009 in der Tageszeitung junge Welt