Razzien nach G-20-Protesten: Polizeistaat

Auf die Qualitätsmedien dieses Landes kann sich die deutsche Polizei verlassen. Am Dienstag durchsuchten Hunderte Beamte in acht Bundesländern Privatwohnungen und Zentren von »Linksextremisten« – und die Berichterstattung der Rundfunk- und Fernsehsender folgte fast ausnahmslos den Sprachvorgaben der Polizeisprecher. Man habe Beweise finden wollen, dass die Ausschreitungen während der Proteste gegen den G-20-Gipfel im Juli in Hamburg »langfristig vorbereitet« worden waren.

Das ist zweifellos richtig und längst bewiesen. Im Vorfeld des G-20-Gipfels hatten Polizei und Hamburger Landesregierung über Monate mit aller Macht versucht, praktisch jede Möglichkeit legalen Protestes zu unterbinden. Weite Teile des Stadtgebiets wurden abgeriegelt, so dass Menschen nicht mehr zu Arztterminen oder Pflegedienste nicht mehr zu ihren Patienten kamen. Pausenlos über der Innenstadt kreisende Hubschrauber raubten den Einwohnern den Schlaf. Protestcamps wurden verboten und trotz anderslautender Gerichtsurteile mit martialischen Polizeieinsätzen gegen vollkommen gewaltfreie Camper unterbunden. Deeskalation gab es nicht, statt dessen wurde in bis dahin absolut friedliche Demonstrationen geprügelt. Hunderte Verletzte wurden in Kauf genommen.

Als es dann in der Nacht vom Freitag, 7. Juli, unter nach wie vor nicht geklärten Umständen im Schanzenviertel zu Randale kam, wurde die Gegend durch paramilitärische Sturmtruppen mit Schnellfeuergewehren besetzt. Die Polizei sprach von einem »Hinterhalt«, auf Dächern seien Molotowcocktails und Gehwegplatten deponiert worden. Wochen später stellte sich heraus: Den »Hinterhalt« hat es nie gegeben. Schlagzeilen machte das nicht mehr.

Warum fragt eigentlich keiner nach der zweiten Gewaltnacht in der Schanze? Nachdem sich die Einsatzkräfte am Sonnabend, 8. Juli, wieder aus dem Schanzenviertel zurückgezogen hatten, füllte sich das Viertel am Abend mit Feierwilligen. Doch dann riegelte die Polizeimacht den Stadtteil erneut ab und begründete das damit, dass erneut Geschäfte geplündert worden seien – was die Polizei selbst Stunden später zurücknahm. Entsetzte Touristen mussten trotzdem vor dem entfesselten Mob in Uniform fliehen und berichteten entgeistert unter anderem den jW-Reportern vor Ort, wie sie von den Beamten zusammengeknüppelt worden waren. In der gleichgeschalteten Erinnerung der Massenmedien hat es das nie gegeben.

23 Menschen sind in der Folge verurteilt worden, acht sitzen noch immer in Untersuchungshaft. Der 18jährige Fabio V. wurde erst in der vergangenen Woche auf freien Fuß gesetzt – nach Monaten im Gefängnis. Ihm wird schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen, obwohl ihm keine Beteiligung an Gewalttaten zur Last gelegt wird. Doch genau das ist der Tenor, der in den meisten Berichten am Dienstag vorherrschte: Wer bei so einer Demonstration dabei war, ist schuldig. Wer sein Grundrecht in nicht genehmer Begleitung wahrnimmt, muss mit Knast rechnen.

Erinnerung auffrischen: www.jungewelt.de/g20

Erschienen am 6. Dezember 2017 in der Tageszeitung junge Welt