»Aló, Presidente«

Hugo Chávez auf Rekordkurs. Seit Donnerstag ist im venezolanischen Fernsehen die Jubiläumsausgabe der normalerweise wöchentlich am Sonntag ausgestrahlten Sendung »Aló, Presidente« zu sehen, in der Venezuelas Staatschef die Politik seiner Regierung erläutert und das Gespräch mit der Bevölkerung sucht. Dauern soll die in mehrere Kapitel aufgeteilte und natürlich von Pausen unterbrochene Sonderausgabe bis in den späten Sonntag abend.

Vor zehn Jahren, am 23. Mai 1999, war »Aló, Presidente« zum ersten Mal auf Sendung gegangen. Der damals knapp vier Monate amtierende Präsident Venezuelas setzte sich in ein Studio des staatlichen Radios Nacional de Venezuela und beantwortete live Fragen, die Hörerinnen und Hörer per Telefon an ihn stellten. Inzwischen ist eine sonntägliche Fernsehsendung daraus geworden, die oft fünf, sechs oder sogar sieben Stunden dauert. Versuche, sie auf einen anderen Wochentag zu legen oder sogar die kurze Zeit praktizierte tägliche Ausstrahlung wurden schnell wieder aufgegeben. Denn nur mit den Marathonsendungen am Sonntag vormittag erreicht Chávez die ganz besondere Aufmerksamkeit der venezolanischen Bevölkerung. Die Einschaltquoten der mittlerweile vom staatlichen Fernsehen und mehreren Rundfunksendern ausgestrahlten Sendung sind hoch, aber kaum jemand verfolgt sie von Anfang bis Ende komplett.

Einer jüngsten Umfrage des Instituts Observatorio Público zufolge sehen oder hören 61 Prozent der Venezolanerinnen und Venezolaner »Aló, Presidente«. 83 Prozent von ihnen verfolgen die Sendung im Fernsehen, während die übrigen 17 Prozent die Radioübertragung hören. Das sind hohe Werte für einen Beitrag, der eben nicht – wie oft fälschlich behauptet wird – von allen Sendern übernommen wird, sondern sich durchaus gegen die Konkurrenz der kommerziellen Kanäle behaupten muß.

Die Jubiläumssendung begann am Donnerstag zunächst in Maracaibo, der Hauptstadt des von der Opposition regierten Bundesstaates Zulia, wo Chávez ein neues Heizkraftwerk einweihte. Er nutzte die Gelegenheit, um seinen Zuschauern eine Einführung in die Funktionsweise des Kapitalismus zu bieten: »Ein privatisiertes Unternehmen würde sich nicht darum kümmern, entlegene Gegenden mit Strom zu versorgen. Denn das einzige, was einen privaten Unternehmer interessiert, ist, ob er daraus Gewinne ziehen kann. Er fragt sich, ob er seine Investitionen wieder in barer Münze zurückbekommt, sonst gibt es für ihn keinen Grund, eine solche Investition vorzunehmen.« Im Gegensatz dazu sei der Grundsatz des Sozialismus, die gesamte Gesellschaft in die Entwicklung einzubeziehen: »Die gesellschaftliche Realität muß verändert werden, und das geht nur durch eine Veränderung der Wirtschaft hin zu einem Modell, das den Reichtum des Landes, der allen gehört, gleichmäßig verteilt.«

Später setzte Chávez das Programm aus dem Präsidentenpalast Miraflores in Caracas fort. Und auch die weiteren Folgen der Jubiläumssendung werden bis Sonntag von wechselnden Orten aus übertragen, die vorher jedoch nicht angekündigt werden. Auch das ist die Reaktion auf Erfahrungen aus zehn Jahren »Aló, Presidente«. Denn als zu Beginn die Sendungen immer aus den Räumen von Radio Nacional de Venezuela und später aus den Fernsehstudios von VTV kamen, versammelten sich Tausende Menschen vor den Einrichtungen, um Chávez persönlich ein Anliegen zu übermitteln oder ihn einfach zu begrüßen. Regelmäßig wurde dadurch der Verkehr lahmgelegt, Chávez selbst konnte sich kaum einen Weg zum Studio bahnen. Und auch aus Sicherheitsgründen mußte eine Lösung gefunden werden. Deshalb geht Chávez mit allen Technikern und meist auch mit einem Großteil seines Ministerkabinetts regelmäßig auf Reisen durch Venezuela, besucht ganz unterschiedliche Regionen und Orte und bezieht sie in seine Show ein. Sogar aus Kuba und China wurden schon Sendungen übertragen.

Erschienen am 30. Mai 2009 in der Tageszeitung junge Welt