Radio Sandino: Stimme der Revolution

Nicaragua, 19. Juli 1979. Der Diktator ist geflohen, die Revolution hat gesiegt. Aus den Rundfunkgeräten ertönt die Siegesmeldung: »Volk von Nicaragua, das gesamte Land ist befreit! Nicaragua ist frei!« Es ist das Signal von Radio Sandino.

Wenige Monate zuvor, am 27. Dezember 1978, hatte sich der Sender der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) erstmals gemeldet. Guerilleros der Südfront »Benjamín Zeledón« nahe der Grenze zu Costa Rica betrieben ihn. In dem Nachbarland waren bereits gut ein Jahr zuvor Beiträge von Radio Sandino produziert worden, ausgestrahlt von einem alten und schwachen, in einem Baumwipfel versteckten Kurzwellensender. Zu Beginn gab es täglich nur drei halbstündige Sendungen.

Möglichst leise, damit die Schergen der Somoza-Diktatur nichts bemerkten, hörten Menschen im Land damals die Ansage: »Hier Radio Sandino, wir senden aus irgendeinem Ort in Nicaragua«. Das Programm bestand aus revolutionärer Musik und Nachrichten über den Vormarsch der Aufständischen sowie Aufrufe an die Bevölkerung, sich dem Kampf gegen die Nationalgarde anzuschließen. Auch die wichtigsten Comandantes der FSLN, unter ihnen Daniel Ortega, sprachen über Radio Sandino.

Die technische Basis der Radiomacher war und blieb provisorisch. Oscar Mazier, einer der Betreiber, erzählte später in einem Interview, dass sie damals von sowjetischen Journalisten besucht worden seien. Die fragten, wie sie helfen könnten. »Sagt den Kollegen von Radio Moskau, dass sie ein bisschen zur Seite rutschen sollen«, habe er ihnen geantwortet. Der starke sowjetische Kurzwellensender habe auf einer Frequenz direkt neben der von Radio Sandino gefunkt und den Empfang gestört. Tatsächlich erfüllte man in Moskau den Wunsch.

Dabei blieb es nicht. Wie das sandinistische Onlineportal Barricada Ende 2018 berichtete, lieferte Radio Moskau wohl auch technische Unterstützung. Und Radio Habana Cuba übernahm die Sendungen aus dem Süden Nicaraguas und strahlte sie über seine starken Antennen aus. So wurde die Stimme der Sandinisten nicht nur im ganzen Land, sondern auf dem ganzen Kontinent vernehmbar.

Doch erst ab dem 20. Juli 1979 konnten die Menschen im Lande ohne Angst Radio Sandino hören. In der Hauptstadt Managua waren die Anlagen der Sender übernommen worden, die zuvor Propaganda der Diktatur verbreitet hatten. Das Programm wurde zur offiziellen Stimme der Sandinistischen Revolution. Es mobilisierte zum Widerstand gegen den Terror der von den USA ausgehaltenen Contra-Banden und zur Unterstützung der Alphabetisierungskampagne und anderer sozialer Maßnahmen der neuen Regierung.

Nach der Abwahl der Sandinisten 1990 begann für den Sender eine schwierige Zeit, mehrfach drohte die Abschaltung. Erst mit der Rückkehr Ortegas an die Regierung 2007 konnte Radio Sandino seine frühere Bedeutung wiedererlangen. Heute ist es auf UKW und Mittelwelle zu hören – und weltweit über Internet. Auf »La S grande«, dem »großen S«, laufen schmalzige Liebeslieder und Popmusik, unterbrochen von Werbespots. Dann wieder gibt es revolutionäre Lieder aus den Zeiten des Befreiungskampfes und aktuelle politische Songs zur Unterstützung der FSLN sowie kurze historische Beiträge, zum Beispiel über Che Guevara und Karl Marx. Radio Sandino ist also ähnlich widersprüchlich wie die Regierung, auf deren Seite es steht.

Erschienen am 18. Juli 2019 in der Tageszeitung junge Welt