Radikaler werden

Nach dem gescheiterten Putschversuch in Ecuador will die Regierung in Quito ihren Kurs offenbar verschärfen. Außenminister Ricardo Patiño erklärte am Dienstag (Ortszeit) in einem offiziellen Statement, nach den Ereignissen vom vergangenen Donnerstag werde es eine »Radikalisierung und Vertiefung« der von Präsident Rafael Correa angestrebten »Bürgerrevolution« geben. Die Krise sei noch nicht überwunden, weil die Personen, die auf den Staatschef und unbewaffnete Menschen geschossen hätten, noch frei seien.

Rebellierende Polizisten hatten am 30. September den ecuadorianischen Präsidenten zwölf Stunden lang in einem Krankenhaus festgehalten, bevor dieser von loyalen Militärs befreit werden konnte. Dabei feuerten die Meuterer Schüsse auf den Präsidenten und das Fahrzeug ab, mit dem dieser in Sicherheit gebracht wurde. Dabei starb ein Offizier, der direkt neben dem Staatschef gestanden hatte. Bislang drei ranghohe Polizeibeamte wurden Agenturberichten zufolge wegen versuchten Mordes inhaftiert. Ebenfalls verhaftet wurde Fidel Araujo, ein enger Mitarbeiter des früheren Präsidenten Lucio Gutiérrez. Diesem wirft die Regierung vor, den Putschversuch organisiert zu haben, was Gutiérrez jedoch zurückweist. Erst wenige Tage vor den Ereignissen hatte er aber von Miami aus schwere Vorwürfe gegen Präsident Correa erhoben. In Ecuador gäbe es »weder politische Parteien noch Meinungsfreiheit«, sagte er der spanischen Nachrichtenagentur EFE. Am vergangenen Donnerstag selbst hielt er sich in Brasilien auf, wo er nach eigenen Angaben von den Ereignissen in seinem Heimatland erst etwas mitbekam, »als schon alles vorbei war«.

Oberst Lucio Gutiérrez war international bekannt geworden, als er am 21. Februar 2000 einen Aufstand gegen den damaligen Staatschef Jamil Mahuad angeführt hatte und Teil einer dreiköpfigen »Nationaljunta zur Rettung Ecuadors« wurde. Nach dem Scheitern dieser Rebellion und einer dreimonatigen Gefängnishaft schied er im Juni 2000 aus dem Militär aus und gründete seine eigene Partei »Patriotische Gesellschaft« (PSP), die er nach der Organisation benannte, die 1810 in Venezuela im Kampf gegen die spanische Kolonialherrschaft gegründet worden war, und der unter anderem der bis heute als Befreier Südamerikas verehrte Simón Bolívar angehörte.

Angesichts dieser »bolivarischen« Orientierung wurde Gutiérrez damals als »Ecuadors Hugo Chávez« gehandelt, was ihm die Unterstützung der Linken und der Indígenas des Landes einbrachte. Mit deren Hilfe wurde er 2002 zum Präsidenten gewählt. Doch die Hoffnungen auf eine linke Politik wurden schnell enttäuscht, was nach wenigen Monaten zum Bruch mit seinen bisherigen Verbündeten wie der Indígena-Organisation CONAIE oder der maoistischen PCMLE führte.

Mitte April 2005 wurde Gutiérrez dann nach heftigen Auseinandersetzungen um eine von ihm betriebene Auflösung des Obersten Gerichtshofs durch die Mehrheit der Abgeordneten für abgesetzt erklärt, während die Armeeführung dem Staatschef die Unterstützung entzog. Nach zeitweiligem Exil in Brasilien und einem im Sande verlaufenen Gerichtsverfahren in Ecuador kehrte Gutiérrez 2008 auf die politische Bühne seines Landes zurück. Bei der Präsidentschaftswahl im April 2009, bei der Correa mit 52 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde, erreichte er mit 28,2 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg.

Trotz seines Dementis sehen knapp 70 Prozent der Ecuadorianer in Gutiérrez den Urheber des Putschversuchs. Das geht aus einer am Dienstag (Ortszeit) veröffentlichten Umfrage des Instituts Santiago Pérez (SP) hervor. Genutzt hat der gescheiterte Umsturz demnach vor allem Präsident Correa, dessen Amtsführung von 75 Prozent der Befragten mit »gut« oder »sehr gut« bewertet wird.

Unterdessen hat die Regierung den nach den Ereignissen verhängten Ausnahmezustand bis Freitag verlängert. Darum hatte Parlamentsvizepräsidentin Irina Cabezas die Exekutive gebeten, da eine normale Arbeit der Abgeordneten noch nicht möglich sei. Durch den Ausnahmezustand kann das Militär den Schutz der Parlaments­einrichtungen fortsetzen, den es in den vergangenen Tagen übernommen hatte. Die Aufständischen hatten am Donnerstag auch das Kongreßgebäude zeitweilig besetzt.

Erschienen am 7. Oktober 2010 in der Tageszeitung junge Welt und am 9. Oktober 2010 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek