Putschisten gegen Robin Hood

Der Erzbischof von Caracas, Jorge Urosa, muß am heutigen Dienstag vor dem venezolanischen Parlament seine Angriffe auf die Legislative und Staatschef Hugo Chávez rechtfertigen. Parlamentspräsidentin Cilia Flores bestellte den Geistlichen ein, nachdem dieser Ende Juni in der Tageszeitung El Universal den Regierenden seines Landes vorgeworfen hatte, durch das Durchsetzen einer »marxistisch-kommunistischen Linie« in allen Aspekten des Lebens »das Gemeinwohl, die Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden« aufs Spiel zu setzen. Diese Linie führe »in den Ruin, zur Zerstörung der Wirtschaft, zu noch größerer Armut«. »Das Problem ist groß, denn wir sind auf dem Weg in ein neues Kuba«, behauptete der Kardinal. Zugleich räumte er ein, daß eine Reihe von Priestern in Venezuela den Kurs von Hugo Chávez unterstützen, »weil sie im Präsidenten einen Robin Hood sehen, der den Reichen nimmt, um den Armen zu geben«. Es dürfe aber nicht darum gehen, den einen zu nehmen, um den anderen zu geben, »sondern um eine in Freiheit entfaltete Wirtschaft« im Interesse des Wachstums. »Ich glaube, das gesellschaftliche Verantwortungsbewußtsein der Unternehmer ist stark gewachsen«, so Urosa.

Der angegriffene Staatschef begrüßte die Reaktion des Parlaments. In seiner wöchentlichen Fernsehsendung »Aló, Presidente« warnte Chávez am Sonntag Urosa: »Mit Chávez und dem Volk hast du dich übernommen, Kardinal«. Wenn er tatsächlich die Verfassung verletze, wie es die Bischöfe behaupteten, dann müßten diese es beweisen, »denn sie beschuldigen mich eines Verbrechens«. Hinter den Angriffen Urosas auf Regierung und Parlament stünden die Putschisten, die zum Diskurs des Jahres 2002 zurückkehrten, um einen erneuten Staatsstreich zu rechtfertigen. Tatsächlich hatte Urosa, der damals noch Erzbischof von Valencia war, am 12. April 2002 den am Tag zuvor erfolgten Sturz des rechtmäßig gewählten Präsidenten begrüßt. Chávez sei »ein Albtraum« gewesen und müsse bestraft werden, sagte er damals der Tageszeitung Notitarde. Bis heute haben die Kirchenleute sich für die damalige Unterstützung der Putschisten nicht entschuldigt. Statt dessen wurde Urosa im September 2005 von Papst Benedikt XVI. zum Erzbischof von Caracas und ein Jahr später zum Kardinal ernannt.

Erschienen am 20. Juli 2010 in der Tageszeitung junge Welt