Putsch in Venezuela – Kommentar nach dem Sturz des Präsidenten Chávez

Am Anfang stand ein Telefonanruf. Dann die Überprüfung der Meldung. Der erste Blick auf die Homepage der offiziellen venezolanischen Nachrichtenagentur Venpres sah aus, als sei alles normal. Doch die letzte Meldung war vor zwei Tagen eingespielt worden. Also doch schnell ein Blick auf Prensa Latina. Und dort die Bestätigung: das Militär hat den mehrfach demokratisch gewählten Präsidenten der Bolivarianischen Republik Venezuela, Hugo Chávez, abgesetzt.

Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Und doch, dieser 11. Und 12. April 2002 erinnern immer wieder an den 11. September 1973 in Chile. Die wirtschaftlich herrschende Klasse destabilisiert die Lage, nutzt die dadurch entstandenen Wirtschaftsprobleme aus, um Teile des Volkes gegen die Regierung zu hetzen, ein paar Terroristen tun das ihre und das Militär greift ein, um „Ruhe und Ordnung“ wiederherzustellen.

Hinter dem Vorhang aus Lügen und Propaganda kristallisieren sich allmählich die Tatsachen heraus:

Am 11. April wurde eine Demonstration, die sich im Rahmen des Generalstreiks zum Erdölkonzern Pdvsa bewegen sollte, in Richtung auf den Präsidentenpalast umgelenkt. Der Slogan: „Jetzt holen wir Chávez raus“. Dort hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits Zehntausende AnhängerInnen der Regierung versammelt. Ketten der Guardia Nacional und der Polizei sollten die gegnerischen Lager voneinander trennen.

Als die beiden Menschenmengen aufeinander treffen, werden aus der rechten Demonstration von Zivilisten Schüsse auf Polizisten und VerteidigerInnen der Regierung abgegeben. Einige Menschen erwidern das Feuer. Die schreckliche Bilanz: 13 Tote, über 100 Verletzte – die Mehrzahl von ihnen VerteidigerInnen der demokratischen Regierung.

Das nehmen Militärs zum Anlaß, den Rücktritt des Präsidenten zu fordern. Ein Komitee von Offizieren marschiert in den Präsidentenpalast und verhaftet Hugu Chávez. Angeblich sei dieser zurückgetreten, lassen die Putschisten verlautbaren. „Ich bin nicht zurückgetreten, ich bin ein gefangener Präsident“, sagt Chávez seiner Tochter. Er wird in einer Kaserne gefangengehalten.

Zum neuen „Übergangspräsidenten“ wird der Chef des Unternehmerverbandes Fedecámaras ernannt. Der Klassencharakter der Konterrevolution wird spätestens jetzt offensichtlich, trotz des Feigenblattes der korrupten Führung der Gewerkschaft CTV.

Die friedliche Bolivarianische Revolution ist gewaltsam zerschlagen worden. So scheint es derzeit. Welche Fehler hat die demokratische Regierung gemacht? Viele. Doch diese Fragen stellen sich erst in den nächsten Tagen.

Heute stellen wir fest: Die Reaktion hat erneut bewiesen, daß sie auf das demokratische Mäntelchen des kapitalistischen Systems scheißt, wenn es eine Regierung oder eine Bewegung wagen, die schönen Lehrsätze der bürgerlichen „Demokratie“ auszunutzen, um eine Politik im Interesse der breiten Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen. Die selben Herrschaften, die der kolumbianischen Guerilla vorwerfen, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele zu gebrauchen, haben gewaltsam die mehrfach demokratisch gewählte Regierung Venezuelas gestürzt. Sie, die KommunistInnen „extremistisch“ und „undemokratisch“ nennen, haben auf Linke und andere VerteidigerInnen der demokratischen Regierung geschossen, haben die kubanische Botschaft überfallen, Menschen angegriffen.

Die Reaktion hat uns erneut, nach Chile 1973 und vielen anderen Beispielen, wieder gezeigt: es gibt keinen Kompromiss zwischen Reaktion und Revolution, zwischen Sozialismus oder Barbarei. Chávez hat diesen Kompromiss versucht. Das wurde sein Verhängnis – und das Verhängnis für die Zukunft der Menschen in Venezuela.

Unsere Antwort heute ist unsere solidarische Umarmung für unsere Genossinnen und Genossen in Venezuela. Ist unsere Forderung: Freiheit für Hugo Chávez! Freiheit für Venezuela!

Sofortige Wiederherstellung der Demokratie!
¡Viva la República Bolivariana de Venezuela!

Dieser Kommentar erschien am 12. April 2002 auf der Homepage der DKP Hamburg