Putsch des Parlaments

Als einen »Staatsstreich im Expreßtempo« hat Paraguays Präsident Fernando Lugo im Gespräch mit dem lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur das von einer Mehrheit der Abgeordneten gegen ihn angestrengte Amtsenthebungsverfahren bezeichnet. Am Donnerstag hatte das Unterhaus des Parlaments mit 76 gegen eine Stimme die Einleitung eines »politischen Prozesses« gegen den Staatschef beschlossen, da dieser seine Amtsgeschäfte »schlecht geführt« habe. Die Mehrheit für diesen Schritt kam zustande, weil sich die bislang die Regierung mittragende Authentische Radikale Liberale Partei (PLRA), besser bekannt als »Weiße« (Blancos), ihre Unterstützung für Lugo aufgekündigt und sich der Opposition angeschlossen hatte. Nach dem Parlamentsbeschluß mußte am Freitag noch der Senat des südamerikanischen Landes dem Amtsenthebungsverfahren zustimmen. Auch dort galt eine Mehrheit für den Sturz des Präsidenten als sicher.

Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2008 hatte sich Lugo zwar als Kandidat eines breiten Bündnisses »Allianz für den Wandel« durchsetzen können, im Parlament verfügt er jedoch über keine Mehrheit. Das führte seit seinem Amtsantritt dazu, daß Lugos Ansätze sozialer Reformen immer wieder an den Mehrheiten in den beiden Kammern scheiterten. Auch die PLRA bremste regelmäßig jeden Ansatz, der ihr als zu »radikal« erschien. Bei den linken Unterstützern des Präsidenten führte dies zu wachsender Enttäuschung. Die Kommunistische Partei Paraguays etwa kündigte dem Präsidenten Ende 2010 ihre »kritische Unterstützung« auf, obwohl dieser führende Vertreter der unter der jahrzehntelangen Stroessner-Diktatur blutig verfolgten Organisation rehabilitiert hatte.

Doch selbst die vorsichtigen Fortschritte, die Lugo erzielen konnte, stießen auf den erbitterten Widerstand der Rechten um die »Bunten« (Colorados), die langjährige Staatspartei Nationale Republikanische Allianz (ANR). Das zeigt schon die offizielle Begründung für das Verfahren gegen den Präsidenten, die das erzkonservative deutschsprachige Wochenblatt veröffentlichte. So habe der Präsident toleriert, daß im Jahr 2009 auf einem Kasernengelände eine »Demonstration junger Sozialisten« stattgefunden habe, bei der die »typischen Symbole« der Linken gezeigt und »verfassungsfeindliche Lieder« gesungen worden seien. Bei einem Konflikt um Land in Ñacunday habe er es gewagt, die landlosen Bauern zu unterstützen indem er, so das Wochenblatt, »anstatt Privateigentum zu schützen, sich auf die Seite derer stellte, die Verbrechen begehen«. Zudem unterstellen die Regierungsgegner dem Präsidenten, Verbindungen zur obskuren Guerillaorganisation Paraguayische Volksarmee (EPP) zu unterhalten.

Unmittelbarer Auslöser für das Vorgehen der Abgeordneten waren jedoch die als »Massaker von Curuguaty« bekanntgewordenen blutigen Auseinandersetzungen um eine Landbesetzung in der vergangenen Woche, bei der insgesamt 17 Menschen getötet worden waren (jW berichtete). Dem Präsidenten werfen die Oppositionellen vor, nicht »ausreichend Vorsorge« getroffen zu haben, um das Leben der eingesetzten Polizisten zu schützen.

Die Nachbarn Paraguays beobachten die Entwicklungen im Land mit Sorge. Die Außenminister der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR), die zum Rio+20-Gipfel in Brasilien versammelt waren, eilten noch am Donnerstag nach Asunción. Auch UNASUR-Generalsekretär Ali Rodríguez Araque besuchte sofort Lugo, um ihm die Unterstützung der Staatengemeinschaft für die Verteidigung der Demokratie in Paraguay zuzusichern. Die venezolanischen Abgeordneten des Lateinamerikanischen Parlaments veröffentlichten eine Erklärung, in dem sie den »Putschversuch der Rechten« in Paraguay verurteilen und zur internationalen Solidarität mit dem Volk aufrufen. Auch die Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) verurteilten in einer gemeinsamen Erklärung den Versuch, Präsident Lugo abzusetzen und eine »nicht legitimierte Regierung« einzusetzen, die dazu dienen solle, »Paraguay in die alten, bereits überwundenen politischen Praktiken zurückzuwerfen«.

Erschienen am 23. Juni 2012 in der Tageszeitung junge Welt