Puigdemont will reden

Das »Aquarium« am Kottbusser Tor im Berliner Stadtteil Kreuzberg platzte am Sonnabend aus allen Nähten. Dutzende Fernsehteams aus ganz Europa und unzählige Journalisten hatten sich in dem Veranstaltungszentrum eingefunden, in dem sonst Hartz-IV-Beratungen stattfinden und Behinderteninitiativen ihre Büros haben. Vor dem Gebäude an der Skalitzer Straße standen einige Dutzend Menschen mit Plakaten für die Freiheit der politischen Gefangenen und warteten auf den früheren katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont. Dieser hat sich nach seiner Entlassung aus der JVA Neumünster in der vergangenen Woche in Berlin niedergelassen und will nun von der Bundeshauptstadt aus den politischen Kampf um die Demokratie in seiner Heimat fortsetzen. Dazu hatte die Bürgerinitiative Katalanische Nationalversammlung (ANC) »im Namen der legitimen katalanischen Regierung« kurzfristig zur Pressekonferenz eingeladen.

Nach einem »Guten Morgen« sprach Puigdemont in englischer, spanischer und katalanischer Sprache – ohne Übersetzung, was einige der anwesenden Reporter vor Schwierigkeiten stellte. Es sei nicht geplant gewesen, dass er nach Berlin komme, betonte Puigdemont. Er sei auf dem Weg nach Belgien gewesen, »wo ich meine Wohnung habe und wo meine Anwälte sind«, als er in Schleswig-Holstein von der Polizei festgenommen wurde. Nun aber werde er bis zum Ende des Verfahrens in Deutschland in Berlin bleiben und sich den Behörden zur Verfügung halten.

Puigdemont wurde im Januar 2016 zum Ministerpräsidenten Kataloniens gewählt, nachdem im September 2015 die Abgeordneten des Regionalparlaments neu gewählt worden waren. Die für die Unabhängigkeit der Region eintretenden Parteien hatten den Urnengang zum Plebiszit über die Eigenständigkeit erklärt und damit die absolute Mehrheit der Sitze gewonnen. In seiner Antrittsrede kündigte Puigdemont damals Verhandlungen mit dem spanischen Staat an – ein Versprechen, das an der Weigerung Madrids scheiterte, über die Frage einer Unabhängigkeit Kataloniens auch nur zu sprechen. Statt dessen wurde ein juristischer Feldzug gegen die Arbeit des katalanischen Parlaments entfesselt. Im Dutzend hob das spanische Verfassungsgericht von den katalanischen Abgeordneten verabschiedete Gesetze auf. Dabei handelte es sich nicht nur um solche, die den Weg zur Unabhängigkeit frei machen sollten. So kassierten die Richter das 2016 einstimmig beschlossene Verbot der Zwangsräumungen von Wohnungen ebenso wie ein Klimschutzgesetz, Bestimmungen zum Ladenschluss und die Gründung einer Agentur für Cybersicherheit.

Die Mehrheit der Abgeordneten des katalanischen Parlaments entschied daraufhin, sich den Eingriffen aus Madrid nicht mehr zu beugen. So wurde das Referendum über die Selbstbestimmung am 1. Oktober trotz richterlichen Verbots durchgeführt. Die spanischen Behörden versuchten, das Votum mit brutalen Polizeieinsätzen zu verhindern. Trotzdem nahmen mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten an dem Urnengang teil, von denen etwas über 90 Prozent für die Gründung einer eigenständigen Republik stimmten. Als Konsequenz aus dem Ergebnis v

erabschiedete das katalanische Parlament am 27. Oktober eine Resolution, die in der Präambel eine Unabhängigkeitserklärung enthält – nicht aber im eigentlichen Beschlusstext. Am gleichen Tag beschloss der spanische Senat auf Antrag der Regierung die Aufhebung der Autonomie Kataloniens und die Absetzung der Regionalregierung nach Artikel 155 der Verfassung. Seither wird Katalonien von Madrid aus zwangsverwaltet.

Neun katalanische Politiker, unter ihnen einige Exminister, sitzen inzwischen in spanischen Gefängnissen, eine ähnlich hohe Zahl wurde ins Exil getrieben. Sie seien die »legitimen Repräsentanten des katalanischen Volkes«, betonte Puigdemont bei der Pressekonferenz in Berlin. Er hoffe, die neue Situation werde dazu führen, dass sich Madrid zu einer politischen Lösung des Konflikts bereitfinde: »Wir wollen reden, verhandeln.« Die Unabhängigkeit seines Landes sei dabei nicht das einzige mögliche Ergebnis, betonte er und erinnerte an das 2006 in einem Referendum und durch das spanische Parlament verabschiedete Autonomiestatut – das 2010 aber vom spanischen Verfassungsgericht zu großen Teilen aufgehoben wurde.

Aus Madrid gibt es allerdings keine Anzeichen, dass man zu einer Kursänderung bereit wäre. Nachdem das Landgericht Schleswig-Holstein den Vorwurf der »Rebellion« gegen Puigdemont verworfen und den Politiker unter Auflagen freigelassen hat, herrschten im Kabinett von Regierungschef Mariano Rajoy »Verwirrung und Ärger«, berichtete am Sonntag die Tageszeitung El País. Völlig ungehemmt lebte der Radiomoderator Federico Jiménez Losantos seinen Frust aus. Im Madrider Sender esRadio beschimpfte er am Freitag den Schleswiger Richter als »roten Nazi« und steigerte sich in Terrorphantasien: »Auf den Balearen gibt es rund 200.000 Deutsche als Geiseln. In Bayern könnten Brauereien in die Luft gehen.«

Erschienen am 9. April 2018 in der Tageszeitung junge Welt