Prügel für die Pressefreiheit

Die Einschüchterung hatte Erfolg. Unisono empören sich die meisten Medien nach dem G-20-Gipfel in Hamburg über die Gewalt der »Linksextremisten« und breiten sich über den »heldenhaften« Einsatz der Polizei aus. Die habe, so der Erste Bürgermeister Olaf Scholz, »alles richtig« gemacht. Bei Welt online behauptete man am Sonntag: »Bürger überhäufen Polizeikräfte mit Liebe und Dankbarkeit«, während Bild auf der Titelseite zur Menschenjagd aufruft.

Im Laufe der vergangenen Woche hatte sich das vor allem in den Medien der Hansestadt noch anders angehört. Nicht nur junge Welt und andere linke und progressive Redaktionen, sondern auch das Boulevardblatt Hamburger Morgenpost oder der Deutschlandfunk und andere berichteten über rechtswidrige Polizeiaktionen gegen friedliche Camps und Demonstrationen.

So kommentierte Volker Steinhoff am 5. Juli auf der Homepage des NDR-Magazins »Panorama«, es falle »zur Zeit wirklich schwer, nicht an eine Verschwörung zu glauben: einen geheimen Plan der Hamburger Polizei, um die Stadt in rauchende Trümmer zu verwandeln«. Nach der gewaltsamen Auflösung der autonomen Demonstration »Welcome to Hell« kommentierte Bild-Chefreporter Frank Schneider am 6. Juli auf Twitter: »Polizei geht bei Ausschreitungen der Welcome to hell auch aggressiv gegen Journalisten vor, völlige Eskalation«. Einen Tag später twitterte er: »Bayerische Einsatzkräfte drehen am Rande der Schanzen-Räumung komplett durch, greifen Unbeteiligte und Reporter gezielt an!« Der freie Journalist Flo Smith, der nach eigenen Angaben für den britischen Sender ITN News über den G-20-Gipfel berichtete, schrieb in der Internetpostille HuffPost: »Auf dem G-20-Gipfel in Hamburg gerät gerade etwas außer Kontrolle. Mein Team und ich wurden gerade erst von Polizisten mit Pfefferspray bedroht und angegriffen.«

Der Fotograf Erik Marquardt twitterte: »Habe Polizist meine Presseakkreditierung gezeigt. Er sagte: ›Ist mir scheißegal, verpiss dich hier.‹ Dann trat er zu.« Pikant: Marquardt ist Kandidat der Berliner Grünen bei der Bundestagswahl – in Hamburg regieren seine Parteifreunde mit.

Für Aufregung sorgte auch, dass ordnungsgemäß akkreditierten Journalisten die Zulassung für den Gipfel entzogen wurde – ohne offizielle Begründung. Zu den Betroffenen gehörten mehrere Kollegen, die auch für junge Welt arbeiten. So wurde dem Fotografen Willi Effenberger beim Betreten des Pressezentrums in den Messehallen von einem Beamten der Ausweis abgenommen. Auf Nachfrage von jW hatte das Bundeskriminalamt (BKA) am vergangenen Freitag jede Verantwortung dafür zurückgewiesen. Das war offenbar gelogen – denn dem Fotografen Rafael Heygster, der für den Bremer Weserkurier tätig ist, wurde einem Bericht der ARD-Tagesschau vom Dienstag zufolge mitgeteilt, »dass dem Bundeskriminalamt Informationen zu Ihrer Person« vorlägen, die zum Entzug der Akkreditierung geführt hätten. Inzwischen bestätigte auch Regierungssprecher Steffen Seibert, dass deutsche Sicherheitsbehörden für das Vorgehen gegen die Journalisten verantwortlich sind – und wollte damit Spekulationen entgegentreten, dass ausländische Geheimdienste Einfluss auf die Akkreditierungspraxis genommen hätten. So waren zwei Betroffene, der auch für jW tätige Fotograf Björn Kietzmann und ein Kollege von Spiegel online, im Oktober 2014 in der Türkei festgenommen worden, als sie über Gefechte um die syrische Grenzstadt Kobani berichtet hatten.

Nach wie vor gibt es keine Aufklärung darüber, welche Bedenken gegen die Journalisten vorliegen – und warum diese dann nicht schon bei der Sicherheitsüberprüfung im Vorfeld der eigentlichen Akkreditierung zu deren Ausschluss geführt haben.

Das Personal an den Zugängen zum Medienzentrum hatte eine Liste mit den Namen von mindestens 32 Personen erhalten, denen der Zutritt verweigert werden sollte. Nach Angaben der Bundesregierung traf das neun Korrespondenten und Pressefotografen, 23 weitere auf der schwarzen Liste aufgeführte Journalisten seien nicht am Zentrum erschienen. Wie die ARD am Dienstag berichtete, gingen diejenigen Polizisten, die ankommende Journalisten überprüften, sehr locker mit der brisanten Liste um, die Namen seien gut einsehbar gewesen. Der öffentlich-rechtliche Sender geht zudem davon aus, dass die Liste insgesamt 80 Namen umfasst habe und damit deutlich länger gewesen sei, als von der Regierung eingeräumt.

»Das Vorgehen des Bundespresseamts und der Polizei am Medienzentrum ist aus mehreren Gründen skandalös und rechtswidrig. Dass Listen in mehrfacher Ausführung kursierten und offen einsehbar waren, auf denen die Namen von Journalistinnen und Journalisten standen, denen die Akkreditierung entzogen wurde, verstößt gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht und die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Betroffenen«, kritisierte am Mittwoch die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU) in Verdi, Cornelia Haß.

Erschienen am 13. Juli 2017 in der Tageszeitung junge Welt