Proteste in Caracas

Venezuelas Präsident Hugo Chávez präsentierte sich am Dienstag in Caracas als Gastgeber der zweiten Außenministerkonferenz der Lateinamerikanischen und Karibischen Staatengemeinschaft (CELAC). Das Treffen diente der Vorbereitung des offiziellen Gipfeltreffens am 5. Juli in der venezolanischen Hauptstadt, bei der die erste Kontinentalorganisation, an der die USA und Kanada nicht beteiligt sind, offiziell gegründet werden soll. Seinen Auftritt vor den Diplomaten nutzte Chávez dazu, sich für eine politische Lösung aller Konflikte weltweit auszusprechen. In die Statuten der CELAC sollten neben einer Demokratieklausel auch ein Verbot von Bombenangriffen und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der einzelnen Länder aufgenommen werden. Niemand habe das Recht, ein anderes Land zu bombardieren, weil es ihm nicht paßt, »so wie es derzeit mit Libyen passiert«. Venezuela werde seine Anstrengungen für eine friedliche Lösung des Konflikts in dem nordafrikanischen Land fortsetzen, kündigte Chávez an und teilte zugleich mit, daß sich seit mehreren Tagen eine libysche Delegation in seinem Land aufhalte, um über einen politischen Ausweg zu beraten.

Überschattet wurde die Außenministerkonferenz jedoch weiterhin von der am Montag erfolgten Auslieferung eines schwedischen Journalisten kolumbianischer Abstammung an die Behörden in Bogotá. Diese werfen Joaquín Pérez Becerra vor, unter dem Namen Alberto Martínez die FARC-Guerilla in Europa vertreten zu haben. Pérez Becerra bestreitet das. »Ich bin kein Botschafter, von niemandem, dies ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit eines alternativen Mediums«, rief er Journalisten zu, während er streng bewacht in das Justizgebäude von Paloquemao in Bogotá gebracht wurde. Pérez Becerra hatte seit Jahren die von Stockholm aus arbeitende Nachrichtenagentur ANNCOL geleitet. Bogotá wirft diesem Internetportal vor, ein Sprachrohr der Guerilla zu sein, weil auf der Seite regelmäßig auch Stellungnahmen der FARC veröffentlicht wurden. Die Agentur selbst sieht sich hingegen als unabhängiges Alternativmedium, das die Volksbewegungen in Lateinamerika solidarisch begleitet. Am Mittwoch wurde deutlich, daß sich der Schlag tatsächlich in erster Linie gegen ANNCOL gerichtet hat. Die Seite der Agentur wurde offenbar von ihrem Schweizer Provider »Infomaniak« abgeschaltet, statt der bisher dort vorhandenen Nachrichten ist nur noch ein »Suspended Account« zu lesen. Das Unternehmen war gegenüber junge Welt nicht zu einer Stellungnahme dazu bereit.

Gegen die Überstellung von Pérez Becerra an Bogotá protestierten am Dienstag in Caracas mehr als 35 Organisationen und soziale Bewegungen, darunter die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV), mehrere lokale Radiosender, Strömungen der Regierungspartei PSUV und Basisinitiativen, unter anderem aus dem für seine kämpferischen Traditionen bekannten Viertel 23 de Enero in der venezolanischen Hauptstadt. Die Regierung des Präsidenten Hugo Chávez müsse ihre Entscheidung erklären, unter Verletzung der venezolanischen Verfassung und internationaler Abkommen Pérez Becerra an die kolumbianischen Behörden zu überstellen. Für den heutigen Donnerstag rufen die Organisationen zu einer Protestkundgebung vor dem venezolanischen Außenministerium auf.

Pedro Eusse vom PCV-Politbüro kündigte bei der Pressekonferenz außerdem eine außerordentliche Sitzung des Zentralkomitees seiner Partei am kommenden Sonnabend an. Dabei solle die durch die »Entführung eines revolutionären Kaders und dessen spätere Ausweisung nach Kolumbien entstandene neue Lage« bewertet werden. »Das Vertrauen ist zerbrochen«, erklärte Eusse. Seine Partei habe Präsident Chávez aufgefordert, seine Haltung zu berichtigen und Pérez Becerra freizulassen. Dieser Appell sei jedoch ignoriert worden. Daher müsse die Führung seiner Partei nun einer kollektive Entscheidung treffen, welche Auswirkungen dies auf das Verhältnis der PCV zur venezolanischen Regierung habe. »Die Kommunistische Partei Venezuelas hat immer standfest diesen Prozeß verteidigt und für seine Vertiefung gekämpft«, so Eusse. Nun aber habe die Regierung den imperialistischen, reaktionären und konterrevolutionären Kräften des Kontinents ein gefährliches Zugeständnis gemacht, das die Prinzipien und Werte des bolivarischen Prozesses in Zweifel ziehe. »Natürlich werden wir deshalb die Haltung der PCV zur Regierung überprüfen«, drohte Eusse mit einem Bruch des bisherigen Bündnisses.

Erschienen am 28. April 2011 in der Tageszeitung junge Welt