Präsident im Exil

Carles Puigdemont versteht sich auch weiterhin als Präsident der Generalitat Kataloniens, auch seine Regierung sei weiterhin im Amt. Man habe aber darauf verzichtet, die Beamten der Administration zu einer Auseinandersetzung um die Hegemonie in Katalonien zu zwingen, erklärte Puigdemont in Begleitung mehrerer seiner Minister am Dienstag mittag bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Es sei gleich, wie diese Geste von anderen aufgenommen werde, doch sie beweise, »dass die Katalanische Republik ein anderer Staat sein wird als ein solcher, wie sich der spanische Staat verhält«.

Er wies Gerüchte zurück, dass er in Belgien politisches Asyl beantragen wolle. Vielmehr sei er mit Teilen seines Kabinetts »in die Hauptstadt Europas« gekommen, um die Instanzen der EU dazu zu zwingen, sich zur Politisierung der Justiz in Spanien zu verhalten. Die spanische Generalstaatsanwaltschaft hatte zuvor Anklage gegen Puigdemont, seinen Vizepräsidenten Oriol Junqueras und andere Politiker wegen »Rebellion« und »Veruntreuung« erhoben. Ihnen drohen bis zu 30 Jahre Haft.

Mit 70 Stimmen dafür, zehn dagegen und zwei Enthaltungen hatten die Abgeordneten des katalanischen Parlaments am Freitag eine Resolution verabschiedet, in deren Präambel die Konstituierung einer unabhängigen Republik verkündet wurde. Im eigentlichen Antragstext wurde die Regierung aufgefordert, die schon zuvor verabschiedeten Übergangsgesetze in Kraft zu setzen, mit denen die Ablösung der spanischen durch katalanische Bestimmungen geregelt werden sollte. Am Dienstag wurde dieser Beschluss vom spanischen Verfassungsgericht – wenig überraschend – vorläufig aufgehoben.

Die katalanische Regierung ist aber seit der Annahme der Resolution nicht mehr zusammengekommen. Auch Puigdemont schwieg, abgesehen von einer kurzen Regierungserklärung am Sonnabend. Selbst auf symbolische Gesten wie das Einholen der spanischen Flagge auf dem Regierungspalast in Barcelona wurde verzichtet. De facto unterwarf sich die Führung der Katalanischen Republik damit ohne jeden Widerstand der spanischen Zentralmacht.

Am Freitag hatte der Senat in Madrid, das Oberhaus des spanischen Parlaments, mit den Stimmen der postfranquistischen Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy, der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) und der sozialdemokratischen PSOE die Aktivierung des Artikels 155 der spanischen Verfassung beschlossen. Auf dieser Grundlage erklärte Rajoy die katalanische Regierung für abgesetzt, das Regionalparlament für aufgelöst und ordnete Neuwahlen für den 21. Dezember an. Als neue Regierungschefin für Katalonien setzte Rajoy seine Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría ein.

Als erster hochrangiger Funktionär akzeptierte nur Stunden später der bisherige Befehlshaber der Regionalpolizei Mossos d’Esquadra, Josep Lluís Trapero, seine Absetzung. Er übergab das Kommando nach entsprechender Anordnung aus Madrid an seinen Stellvertreter Ferran López. Wenig später schluckte Parlamentspräsidentin Carme Forcadell widerspruchslos die Auflösung der Legislative. Ihr sowie den übrigen Mitgliedern des Parlamentspräsidiums drohen trotzdem lange Haftstrafen, weil sie die Abstimmung über die Unabhängigkeitserklärung am Freitag nicht verhindert haben. Zu den Beschuldigten gehört auch der Generalsekretär der Partei »Kommunisten Kataloniens«, Joan Josep Nuet, der für das Linksbündnis Catalunya Sí Que Es Pot dem Präsidium angehörte. Er sprach von einem »politischen Verfahren«. Man werde keine Zensur dessen akzeptieren, was im Parlament diskutiert werden dürfe und was nicht. Nuet hatte wie seine Fraktionskollegen nach eigenen Angaben gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung votiert.

Noch am Wochenende hatte sich auch gezeigt, dass nicht nur die prospanischen Oppositionsparteien, sondern auch die Befürworter einer Unabhängigkeit an den Wahlen am 21. Dezember teilnehmen werden. Zwar sparten die Vertreter von Puig­demonts Demokratischer Partei (PDECat) und seines Koalitionspartners Republikanische Linke (ERC) nicht mit Kritik am Vorgehen Ma­drids, doch man werde sich die demokratischen Spielräume nicht nehmen lassen. Weniger eindeutig äußerte sich bislang die linksradikale »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP). Bei einer Pressekonferenz am Montag im Parlamentsgebäude forderte die Abgeordnete Mireia Boya die von Madrid abgesetzte Regierung auf, ihre Arbeit zu machen, »an welchem Ort auch immer« zu einer Kabinettssitzung zusammenzukommen und die vom Parlament beschlossenen Gesetze in Kraft zu setzen. Die von Madrid einberufenen Wahlen seien illegitim, keine Partei dürfe ihnen den Anschein von Normalität geben. Sie ließ jedoch offen, ob das für die CUP bedeutet, nicht anzutreten.

Erschienen am 1. November 2017 in der Tageszeitung junge Welt