»Pegida« ohne Führer

Sie hatten 60.000 Teilnehmer angemeldet – doch die Teilnahme am heutigen Aufmarsch des Leipziger Pegida-Ablegers »Legida« ist weit hinter den Erwartungen der Islamfeinde zurückgeblieben. Auf dem Augustusplatz versammelten sich nicht mehr als 5.000 Personen unter dem Motto »Für Heimat, Frieden und deutsche Leitkultur. Gegen religiösen Fanatismus, Islamisierung und Multikulti«. Die Polizei kolportierte schließlich großzügig eine Zahl von etwa 10.000 Teilnehmern. Ein Polizist, der zur Absicherung der Versammlung eingesetzt war, bestätigte der Nachrichtenagentur dpa: »Die Zahl 40.000 können wir streichen.« Diese war im Vorfeld der Demonstration von den Behörden kolportiert worden.

An Gegenaktionen beteiligten sich mehrere zehntausend Menschen. Insgesamt waren 19 Kundgebungen angemeldet worden, Tausende versammelten sich entlang der »Legida«-Route und schleuderten den Rechten lautstark »Nazis raus!« entgegen. »Das ist nicht anderes als ein dreckiger Naziaufmarsch, mehr nicht«, kommentierte ein Gegendemonstrant gegenüber dem alternativen Sender Radio Blau, der live über die Proteste berichtete. Zudem war der Zugverkehr zwischen Dresden und Leipzig eingestellt worden, nachdem es dort zu »Vandalismusschäden an Signalanlagen« gekommen war, wie die Deutsche Bahn mitteilte. Eine Blockade des Demonstrationszuges selbst gelang nicht. Der Pressesprecher der Polizei, Alexander Bertram, sprach gegenüber junge Welt zunächst nur von zwei »Durchbruchsversuchen«.

Augenzeugen berichteten von vermummten Neofaschisten, die versuchten, Gegendemonstranten zu provozieren. Gegenüber Radio Blau beschwerte sich eine junge Frau, die Neonazis hätten auf die Absperrgitter der Polizei klettern können, ohne dass die Beamten eingriffen. Im Visier der rechten Demonstranten und ihrer Anführer stand auch die Städträtin und Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke). Bei der Auftaktkundgebung wurde sie von einem Redner attackiert, sie sei »weniger deutsch als Xavier Naidoo«. Von so etwas lasse sie sich nicht beleidigen, erklärte sie daraufhin im Gespräch mit junge Welt. Bedrohlicher gewesen sei, dass sie bei der Polizei vor einer Gruppe Hooligans Schutz suchen musste. Der Rundfunksender mephisto berichtete zudem, dass Medienvertreter von »Legida«-Teilnehmern beschimpft, bespuckt und verprügelt worden seien.

Kurz vor Beginn des »Legida«-Aufmarsches war bekanntgeworden, dass »Pegida«-Gründer Lutz Bachmann das Handtuch geworfen und seinen Rücktritt erklärt hat. Während sich »Pegida« immer wieder dagegen verwahrt, als Nazis bezeichnet zu werden, hatte Bachmann Fotos ins Internet gestellt, die ihn verkleidet als Adolf Hitler zeigten. Zudem wird gegen ihn wegen Volksverhetzung ermittelt, nachdem ihm zugeschriebene Facebook-Äußerungen veröffentlicht worden waren, in denen er Ausländer als »Viehzeug« bezeichnete, die »bewacht« werden müssten. »Es waren unüberlegte Äußerungen, die ich so heute nicht mehr tätigen würde«, entschuldigte er sich. Seine Vorstandskollegin Kathrin Oertel bemühte sich per Pressemitteilung um Schadensbegrenzung: »Die jetzt bekannt gewordenen Facebook-Postings Lutz Bachmanns vom September weisen wir als Verein aufs Schärfste zurück. Sie tragen nicht dazu bei, Vertrauen zu den Zielen und Protagonisten von PEGIDA zu entwickeln. Vokabeln wie ›Viehzeug‹, ›Dreckspack‹ und ›Gelumpe‹ gehören ebenso wenig in einen politischen Diskurs wie ›Rattenfänger‹ (Ulbig), ›Mischpoke‹ (Özdemir) oder ›übelriechender braungrüner Schleim‹ (taz). Nur persönliche Integrität schafft politische Glaubwürdigkeit.« Zugleich distanzierte sich Oertel von »Legida«, obwohl die Dresdener »Pegida«-Spitze am Montag noch zur Teilnahme an dem heutigen Aufmarsch aufgerufen hatte. »Alles, was heute Abend in Leipzig gesagt und gefordert wird, ist nicht mit uns abgesprochen. Das kann sich für die einheitliche Wahrnehmung unserer Bewegung als kontraproduktiv erweisen. Daher prüfen wir eine Unterlassungsklage.«

Ob solche Manöver mehr als Kosmetik für die Öffentlichkeit sind, um die brüchige »demokratische« Fassade der Bewegung zu retten, wird sich zeigen.

Verfaßt gemeinsam mit Michael Merz

Erschienen am 21. Januar 2015 in der Onlineausgabe der Tageszeitung junge Welt