Ortegas Sender

Tomás Borge war schon als Innenminister des sandinistischen Nicaragua bis 1990 als Freund klarer Worte bekannt. Auch heute noch greift der mittlerweile 81jährige, der sein Land seit 2007 als Botschafter in Peru vertritt, regelmäßig in die politische Debatte Nicaraguas ein. So veröffentlichte er in der vergangenen Woche unter der Überschrift »Die Lüge ist ein Geschäft« einen Artikel auf der Home­page des unabhängigen Rundfunksenders Radio La Primerísima, in dem er sich mit der Rolle der privaten Medienkonzerne in Lateinamerika und darüber hinaus auseinandersetzt. »Familien von Multimillionären sind Eigentümer der am meisten gesehenen, gehörten, gelesenen und verlogenen Medien«, faßt er zusammen und nennt als Beispiele die von der Familie Noble kontrollierte Clarín-Gruppe in Argentinien oder die venezolanische Familie Cisneros, die den Fernsehkanal und Telenovelaproduzenten Venevisión beherrscht. Für Europa nennt er nicht nur den italienischen Fernsehmogul und Regierungschef Silvio Berlusconi, sondern auch die spanische Familie Polanco, die um die Tageszeitung El País ihren Medienkonzern Prisa aufgebaut hat.

»In Nicaragua ist die Millionärsfamilie Chamorro Hollman Eigentümerin der Tageszeitung La Prensa und von unzähligen Bankaktien, aber neben den zuvor genannten Familien ist sie fast bettelarm«, schlägt Borge den Bogen zu seinem eigenen Heimatland. »Sie sind die Lüstlinge der Information, die sich nach Meinungsfreiheit heiser schreien. Sie sind Feinde von allem, was revolutionär, fortschrittlich, anständig und wahrhaftig ist.«

Eine andere nicaraguanische Familie macht den Chamorros nun die Vorherrschaft streitig. Am 13. Juni nahm in Managua der neue Fernsehkanal »Viva Nicaragua« den Sendebetrieb auf. Verantwortlich für das Programm sind einem Bericht des sandinistischen Internetportals »La Voz del Sandinismo« zufolge Camila, Luciana und Maurice Ortega Murillo, drei der sieben Kinder von Präsident Daniel Ortega sowie dessen Ehefrau und Regierungssprecherin Rosario Murillo. Sie wollen der Meinungsmache der traditionellen Medien eine Berichterstattung aus der Sicht des Volkes entgegensetzen. »Die Protagonisten werden nicht mehr die traditionellen Gesichter sein, die wir immer sehen, sondern die Menschen selbst«, kündigte Maurice Ortega an. Schwerpunkt des Kanals sollen Nachrichten sein, damit sich die Bevölkerung rund um die Uhr sofort über alles Wichtige informieren kann, kündigte der neue Fernsehchef an.

Wie nicht anders zu erwarten, wetterten die oppositionellen Medien in Nicaragua und anderen Ländern prompt gegen den neuen Konkurrenten, und »La Patilla«, ein vom früheren Chef des venezolanischen Oppositionssenders Globovisión, Alberto Ravell, betriebenes Onlineportal, wußte auch gleich, woher die Mittel für den neuen Sender kommen: »Das Geld aus Venezuela hat in Ortegas zweiter Regierungszeit die Wirtschaftsbrücke mit Kuba, Fidel Castro und der Sowjetunion abgelöst.«

Währenddessen setzt Washington seine Kampagnen gegen die nicaraguanische Regierung fort. Im Mai 2008 wetterte der damalige US-Botschafter in Managua, Paul Trivelli, in einer vom Internetdienst Wikileaks veröffentlichten Depesche an das US-Außenministerium, Ortega bewerbe sich »um eine Aufnahme in die Achse des Bösen«, er sei eine »Miniaturausgabe« des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und benehme sich außenpolitisch ohnehin wie ein »ungezogener Teenager«. Sein Nachfolger Robert J. Callahan bleibt zumindest nach außen höflicher. Bei einem Empfang in Managua aus Anlaß des US-Nationalfeiertags am 4. Juli sagte er ausdrücklich mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen: »Wir wünschen Ihnen allen Leben, Freiheit und die Möglichkeit, ihr Glück zu machen.« Damit das auch wirklich klappt, investiert die US-Entwicklungsbehörde USAID weiter eifrig in die »Förderung der Demokratie« in Nicaragua. Die Gesamtsumme stieg von 27 Millionen Dollar im Jahr 2009 auf 65 Millionen 2010.

Erschienen am 16. August 2011 in der Tageszeitung junge Welt