Ortega vor der Wiederwahl

Nicaraguas Präsident Daniel Ortega dürfte sich am Sonntag abend über weitere fünf Jahre im höchsten Staatsamt des zentralamerikanischen Landes freuen. Allen Umfragen zufolge wird der Sandinist die Präsidentschaftswahlen bereits im ersten Durchgang klar für sich entscheiden. So prognostiziert das Meinungsforschungsinstitut Siglo Nuevo für Ortega 59,6 Prozent der Stimmen, womit er mehr als 44 Prozentpunkte vor seinem schärfsten Konkurrenten, dem für die Unabhängige Liberale Partei (PLI) antretenden Fabio Gadea, läge. Das Institut Cid Gallup aus Costa Rica sieht Ortega bei 48 Prozent, was ebenfalls für einen Sieg im ersten Wahlgang reichen würde, da dazu nach den nicaraguanischen Bestimmungen lediglich 40 Prozent der Stimmen notwendig sind – oder sogar nur 35 Prozent, wenn der Abstand zum Zweitplazierten mindestens fünf Prozentpunkte beträgt.

Daniel Ortega regiert Nicaragua seit Januar 2007 wieder, nachdem er bereits bis 1990 die führende Persönlichkeit der Sandinistischen Revolution gewesen war, die am 19. Juli 1979 den Diktator Anastasio Somoza stürzte. Nach der Wahlniederlage der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) 1990 blieb Ortega an der Spitze der zunächst von Richtungsstreit und Abspaltungen gelähmten Partei und trat dreimal vergeblich als deren Präsidentschaftskandidat an. Erst nachdem er zeitweilig ein Bündnis mit dem früheren liberalen Staatschef Arnoldo Alemán und dessen Partei geschlossen und gemeinsam mit diesen eine Wahlrechtsänderung durchgesetzt hatte, konnte er sich gegen die zersplitterte Rechte durchsetzen, die sich zuvor immer zur Stichwahl gegen Ortega verbündet hatte. Auch diesmal treten insgesamt sechs Kandidaten gegen Ortega an, von denen neben Gadea jedoch nur Alemán mit einem nennenswerten Ergebnis von rund 13 Prozent rechnen kann. Alle anderen werden unterhalb von einem Prozent gehandelt.

Ortega profitiert von den konkreten sozialen Verbesserungen für die Bevölkerung, die seine Regierung in den vergangenen fünf Jahren mit Unterstützung der antiimperialistischen Staatengemeinschaft ALBA erreichen konnte. »In einem Land wie Nicaragua, dem zweitärmsten Lateinamerikas und der Karibik, schätzt das Volk besonders eine Politik der Umverteilung der Ressourcen«, kommentierte Ortegas Berater Paul Oquist gegenüber dem regierungsnahen Fernsehsender Canal 4 Multinoticias. Als Beispiele nannte er das Programm zur Bekämpfung des Hungers, den kostenfreien Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, die erfolgreich durchgeführte Alphabetisierungskampagne und Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur. Zudem verwies Oquist darauf, daß Nicaragua mit 4,5 Prozent im vergangenen Jahr das höchste Wirtschaftswachstum Mittelamerikas verzeichnen konnte, während die Inflation bei nur einem Prozent gelegen habe.

Von Menschenrechtsorganisationen wird die Regierung hingegen kritisiert, weil sie nach wie vor zu wenig zur Eindämmung der Gewalt gegen Frauen unternehme. Auch das extreme Abtreibungsverbot, das einen Schwangerschaftsabbruch selbst bei Lebensgefahr für die werdende Mutter oder bei Vergewaltigung verbietet, wird insbesondere von feministischen Gruppen attackiert. Ortegas Popularität hat das bislang nicht geschadet, zumal er dafür die offene Unterstützung des katholischen Klerus genießt.

Unterdessen lobt der für die öffentliche Ordnung zuständige Generalkommissar der Nationalen Polizei, Francisco Díaz, den »friedlichsten Wahlkampf«, den es in Nicaragua bislang gegeben habe. Dazu dürfte beigetragen haben, daß der Ausgang dieser Abstimmung von Anfang an klar zu sein schien.

Erschienen am 5. November 2011 in der Tageszeitung junge Welt