Opferreicher Kampf

In diesem Jahr begeht Nicaraguas Sandinistische Befreiungsfront FSLN den 50. Jahrestag ihres Bestehens, ohne jedoch ein genaues Datum für die Feierlichkeiten angeben zu können. »Sie entstand natürlich weder durch irgendein Dekret, noch wurde sie in einer besonderen Zeremonie gegründet. Sie entwickelte sich aus einem Prozeß, der noch vor 1960 begann und der im Laufe des Jahres 1961, dem offiziellen Jahr ihrer Gründung, deutlichere Umrisse gewann, bis sie sich im Jahre 1962 konsolidierte«, erinnert sich einer ihrer führenden Repräsentanten, Tomás Borge, in seinem 1989 in Managua erschienenen Buch »La paciente impaciencia« (dt: »Mit rastloser Geduld«).

Ein Höhepunkt der Feierlichkeiten war bereits im Mai in Managua die Tagung des Forums von São Paulo, des Zusammenschlusses zahlreicher Parteien Lateinamerikas, die zur Linken gezählt werden können. Die 640 Vertreter der 48 Mitgliedsorganisationen aus 21 Ländern würdigten dabei schon durch die Wahl des Versammlungsortes, aber auch in ihrer Abschlußerklärung die Gründung der FSLN. »Es ist wichtig hervorzuheben, daß sich Nicaragua mit seinem Kandidaten, dem Comandante Daniel Ortega, dem wir unsere ganze Unterstützung bieten, auf einen neuen Sieg der lateinamerikanischen und karibischen Linken im November vorbereitet«, verweist das Forum auf die Ende des Jahres bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. In diese geht Ortega als klarer Favorit. Jüngste Umfragen sahen ihn Anfang Juli bei 50,8 Prozent der Stimmen, mit steigender Tendenz. Alle Konkurrenten sind weit abgeschlagen.

Daß es überhaupt zu solchen Wahlen kommt und nicht von den USA ausgehaltene Diktatoren das Land beherrschen, ist das historische Verdienst der FSLN.

US-Aggressionen

Über mehr als ein Jahrhundert hinweg war Nicaragua immer wieder Ziel nordamerikanischer Aggressionen gewesen.

Am 10. September 1909 intervenierte die US-Armee in Nicaragua, um einen Aufstand der Konservativen gegen den liberalen Staatschef José Santos Zelaya zu unterstützten, dessen fortschrittliche Regierungsmaßnahmen den USA ein Dorn im Auge waren. Daraus entwickelte sich eine jahrelange Besatzung, in deren Verlauf Washington 1916 dem Land die Genehmigung zur Einrichtung von Militärstützpunkten aufzwang.

1925 zogen die Besatzungstruppen ab, doch schon im folgenden Jahr intervenierten sie erneut unter der auch später immer wieder herangezogenen Begründung, das Leben von US-Bürgern zu schützen, das durch den zwischen Liberalen und Konservativen erneut ausgebrochenen Bürgerkrieg gefährdet sei.

Die erneute Besatzung dauerte bis 1933 und wurde unter anderem damit begründet, daß es sich um die Abwehr eines von Mexiko aus unterstützten bolschewistischen Versuchs handele, die Vorherrschaft über den Panamakanal zu erringen. 1929 legten die gegen die Besatzer Widerstand leistenden Liberalen die Waffen nieder, doch eine unabhängige »Verteidigungsarmee der nationalen Souveränität« setzte den Kampf fort. An ihrer Spitze stand Augusto César Sandino, der »General der freien Menschen«.

Anfang 1933 zogen die US-Truppen aus Nicaragua ab, nachdem sie zuvor dort eine Nationalgarde aufgestellt hatten. Sandinos Verteidigungsarmee sah sich am Ziel ihres Kampfes und zog sich auf eine Plantage zurück, die sie als Kooperative betreiben wollte. Ein Jahr später, am 21. Februar 1934, lud der neue Staatschef, Juan Bautista Sacasa, Sandino und seine wichtigsten Offiziere zu einem Festessen in den Präsidentenpalast nach Managua ein. Doch das war eine Falle: Die Nationalgarde fiel über die Männer her und ermordete sie. Ihr Oberbefehlshaber war Anastasio Somoza.

Der Mord an Sandino war der Auftakt für ein neues dunkles Kapitel in der Geschichte Nicaraguas. Ab 1935 hatte Somozas Nationalgarde das Land unter ihre Kontrolle gebracht, und ihr Chef war praktisch der mächtigste Mann Nicaraguas. Im Jahr darauf ließ er sich selbst zum Präsidenten wählen. Damit begann die über 40 Jahre dauernde Herrschaft des Somozas-Clans – immer mit eifriger Unterstützung aus Washington.

Sieg über die Diktatur

Als gefährlichster Gegner erwuchs dem Somoza-Clan ab Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre die Widerstandsbewegung, die schließlich in die Gründung der Befreiungsfront mündete. Zunächst nannte sie sich noch Bewegung Neues Nicaragua (MNN) und dann nach algerischem Vorbild Nationale Befreiungsfront (FLN). Schon damals bezeichnete Carlos Fonseca, einer ihrer Mitbegründer, die neue Organisation als »sandinistisch« und argumentierte: »Augusto César Sandino ist der Held Nicaraguas, dessen Bild die patriotische Rebellion der Völker Lateinamerikas repräsentiert.« Ab 1963 trug die Organisation, die seit dem Jahr zuvor einen Guerillakrieg gegen die Diktatur führte, dann auch offiziell diesen Namen, es entstand die Sandinistische Nationale Befreiungsfront, FSLN. Ihre Ideologie beschrieb Carlos Fonseca so: »Die endgültige nationale und soziale Befreiung Nicaraguas wird nur durch eine von den Volksmassen unterstützte, bewaffnete Organisation erreicht werden, die an den fortgeschrittensten revolutionären Prinzipien orientiert ist.«

Nach jahrelangem opferreichen Kampf zogen die Kämpfer der Befreiungsfront am 19. Juli 1979 siegreich in Managua ein. Einen Tag später wurden alle Besitztümer des Somoza-Clans beschlagnahmt und nationalisiert. Die Revolutionäre führten eine Bodenreform und eine erfolgreiche Alphabetisierungskampagne durch. Doch auf den Sieg über die Diktatur folgte ein neuer Krieg gegen die imperialistische Aggression. Finanziert, ausgerüstet und ausgebildet durch den US-Geheimdienst CIA, führten die »Contras« ab 1981 ihren schmutzigen Krieg gegen das sandinistische Nicaragua, der Schätzungen zufolge 30000 Menschenleben forderte, die Hälfte davon Zivilisten.

Zermürbt durch diese Angriffe und unter dem Eindruck der internationalen Krise der sozialistischen Staaten, die das revolutionäre Nicaragua von Anfang an entschieden unterstützt hatten, gelang es der von Washington unterstützten Opposition 1990, sich bei den Wahlen gegen die Sandinisten durchzusetzen; Violeta Chamorro löste Daniel Ortega ab. Es begann ein neoliberales »Roll-Back«. Die Armut stieg wieder, der Analphabetismus nahm zu, die Gesundheitsversorgung für die arme Bevölkerung brach zusammen. Am 5. November 2006 gaben die Nicaraguaner den Rechten dafür die Quittung: Daniel Ortega wurde erneut zum Präsidenten des Landes gewählt. Und wie es aussieht, wird er dieses Amt auch über November hinaus behalten.

Erschienen am 23. Juli 2011 in der Tageszeitung junge Welt und am 3. August 2011 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek