Normalität nur an der Oberfläche

Die peruanische Regierung hat Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen zurückgewiesen, sie wolle wegen der Ermordung von Regierungsgegnern inhaftierte Militärs begnadigen. Der Parlamentsabgeordnete Luis Gonzales Posada von der Regierungspartei APRA versicherte, das Kabinett von Präsident Alan García werde die ihm in der Vorwoche vom Parlament übertragenen besonderen Vollmachten im militärischen und polizeilichen Bereich nicht dazu nutzen, eine Amnestie für die Mitglieder der Colina-Todesschwadronen zu erlassen. Diese Gruppe war Anfang der 90er Jahre unter dem damaligen Staatschef Alberto Fujimori gebildet worden, um die regulären Truppen im Krieg gegen die peruanische Guerilla zu »unterstützen«. Auf ihr Konto gehen dem 2003 vorgelegten Abschlußbericht der offiziellen Wahrheits- und Versöhnungskommission zufolge zahlreiche Morde und das »Verschwindenlassen« von Oppositionellen.

Ausgelöst wurde die Debatte durch Abgeordnete wie den früheren Justizminister Aurelio Pastor. Diese hatten eine Sonderkommission gefordert, die eine Begnadigung von Militärs prüfen soll, die wegen »einiger Exzesse im Antiterrorkampf« inhaftiert seien. Mit Blick auf die Ende Mai nach 15 Jahren Haft auf Bewährung freigelassene frühere Aktivistin der Revolutionären Bewegung Túpac Amaru (MRTA), Lori Berenson, sagte Pastor, wenn es für eine »Terroristin« Vergünstigungen gäbe, müsse dies auch für die Militärs gelten.

Weiter angeheizt wurde die Debatte in der vergangenen Woche durch einen Vorfall an der San-Marcos-Universität in Lima, der von den peruanischen Medien groß aufgebauscht wurde. Rund 50 Studierende, nach Angaben von Universitätssprechern »im Alter von 16 oder 17 Jahren«, hatten sich auf dem Campus der traditionsreichen Hochschule mit roten Fahnen versammelt und forderten die Freilassung der politischen Gefangenen. Einem Fernsehbericht zufolge ließen sie dabei auch den seit 1992 inhaftierten früheren Chef der Guerillaorganisation »Leuchtender Pfad«, Abimael Guzmán, hochleben. Für Zeitungen wie Perú.21 reichte diese Aktion aus, um vor einer »Rückkehr des Leuchtenden Pfads an die Universität« zu warnen. In ihrer Hochphase in den 80er Jahren hatte sich die maoistische Organisation auf eine recht starke Basis unter den peruanischen Studierenden stützen können. Nach der Verhaftung ihres Anführers Guzmán war die strikt hierarchisch organisierte Guerilla jedoch zusammengebrochen. Heute sind nur noch einige zersplitterte Gruppen in den Tiefen des amazonischen Regenwalds aktiv.

Die Aufregung um die Ereignisse an der Hochschule zeigen jedoch, daß sich die Lage in dem Andenland auch knapp zehn Jahre nach dem Sturz Fujimoris, der im vergangenen Jahr wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, nur oberflächlich normalisiert hat. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert, daß die Regierung des heutigen Präsidenten Alan García »eine immer größere Intoleranz gegenüber Personen an den Tag legt, die ihre soziale, Umwelt- und Wirtschaftspolitik kritisieren«. So starben Anfang April in Arequipa offiziell fünf Menschen bei einem Polizeieinsatz gegen demonstrierende Bergarbeiter. »Trotz einiger Verbesserungen zeigten sich kaum Fortschritte in dem Bemühen, Verantwortliche für in der Vergangenheit begangene Menschenrechtsverletzung zur Rechenschaft zu ziehen«, kritisiert Amnesty weiter.

Erschienen am 21. Juni 2010 in der Tageszeitung junge Welt