Neuer Schachzug

Der katalanische Regierungschef Artur Mas versucht, mit einem neuen Schachzug die direkte Konfrontation mit der spanischen Zentralregierung zu vermeiden und zugleich die Abspaltung Kataloniens vom Königreich voranzutreiben. Am Montag abend zog er sein Ende September unterzeichnetes Dekret zurück, mit dem für den 9. November eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit der autonomen Region angesetzt worden war Dieses Dekret war von der Zentralregierung angefochten und daraufhin vom Verfassungsgericht vorläufig ausgesetzt worden. Zu erwarten war, dass die mehrheitlich der rechten Regierungspartei PP nahestehenden Richter das Referendum ganz verbieten würden. Dem kam Mas mit seiner überraschenden Ankündigung zuvor. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy begrüßte den Schritt prompt als »exzellente Nachricht«.

 

Am Dienstag folgte dann die zweite Überraschung. In einer vom katalanischen Fernsehen übertragenen Ansprache aus dem Palast der Generalität in Barcelona kündigte Mas an, dass er am 9. November dennoch eine Volksbefragung abhalten wolle. »Es wird geöffnete Wahllokale, Urnen und Stimmzettel geben«, kündigte er an. Die Katalanen können demnach dank der Hilfe von 20.000 Freiwilligen über die im vergangenen Dezember von den prokatalanischen Parteien vereinbarte Fragestellung abstimmen, ob Katalonien sich als Staat konstituieren und ob dieser Staat unabhängig sein solle.

Die Befragung werde jedoch nur symbolische Bedeutung haben, stellte Mas klar. Das »endgültige Referendum« müsse in Form von Parlamentswahlen stattfinden. Dazu sollten alle Parteien, die für die Sezession eintreten, eine gemeinsame Liste aufstellen und ein gemeinsames Programm vereinbaren. Wenn diese dann die absolute Mehrheit gewinne, sei dies die Entscheidung für die Unabhängigkeit.

Diese von Mas schon vor Monaten ins Spiel gebrachte Alternative zur Volksabstimmung war von der in Umfragen inzwischen vor dessen konservativem Bündnis Convergència i Unió (CiU) liegenden Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) bislang immer abgelehnt worden. Umgekehrt drohte die CiU daran zu zerbrechen, ob ein Referendum auch ohne Zustimmung aus Madrid durchgeführt werden könnte. Mas versucht jetzt die Quadratur des Kreises: seine Partei geschlossen und sich selbst im Amt zu halten, die Einheit der prokatalanischen Kräfte zu bewahren und die Eigenständigkeit Kataloniens voranzutreiben.

Erschienen am 15. Oktober 2014 in der Tageszeitung junge Welt