Neuer Anlauf

Die mehrfach verschobene Stichwahl um die Präsidentschaft in Haiti soll nun am 20. März stattfinden. Um das höchste Staatsamt des Karibikstaates bewirbt sich die Verfassungsrechtlerin Mirlande Manigat, deren Ehemann Leslie im Juni 1988 selbst zum Präsidenten des Landes gewählt, wenige Monate später jedoch durch einen Putsch gestürzt worden war. Gegen die Exsenatorin tritt der populäre Musiker Michel Martelly an, dem Verbindungen zur 1986 gestürzten Duvalier-Diktatur nachgesagt werden. Auch soll er 1991 und 2004 an den Staatsstreichen gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide beteiligt gewesen sein.

Ursprünglich hatte die Provisorische Wahlkommission nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 28. November den Kandidaten der Regierungspartei INITE, Jude Célestin, als Zweitplazierten der Abstimmung festgestellt. Damit wäre Martelly aus dem Rennen gewesen. Doch nach Betrugsvorwürfen und heftigem Druck durch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zog die Partei ihren Vertreter zurück und konzentriert sich nun auf die zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen.

Trotz der politischen Spannungen im Vorfeld der Abstimmung, für die sich fast vier Millionen Haitianer haben registrieren lassen, gehen die Vereinten Nationen von einem verhältnismäßig ruhigen Verlauf aus. »Wir erwarten keine Probleme oder größeren Risiken«, sagte der Polizeichef der UN-Stabilisierungsmission MINUSTAH, Marc Tadif, am Mittwoch (Ortszeit) der Nachrichtenagentur Prensa Latina. Mit fast 9000 Soldaten und 3500 Polizisten sei die internationale Präsenz ausreichend, um auch auf unvorhersehbare Ereignisse reagieren zu können, zeigte sich Tadif zuversichtlich. Bei der ersten Wahlrunde war es zu schweren Unruhen gekommen, nachdem unterlegene Kandidaten den Behörden Manipulationen unterstellt hatten.

Vor der neuen Regierung des bitterarmen Landes stehen gigantische Aufgaben. Nach dem verheerenden Erdbeben vom Januar 2010, das fast 300000 Menschenleben forderte und 1,3 Millionen Haitianer obdachlos machte, liegen weite Teile der Hauptstadt Port-au-Prince und des übrigen Landes noch immer in Trümmern, Hunderttausende leben noch immer in Notunterkünften oder unter freiem Himmel. Einer im vergangenen Herbst ausgebrochenen Choleraepidemie fielen außerdem bislang mehr als 4660 Menschen zum Opfer. Hinzu kommt die seit Jahrzehnten anhaltende politische Instabilität, die den Karibikstaat zu einem Spielball ausländischer Regierungen macht.

So ist nach wie vor unklar, wann der frühere Präsident Jean-Bertrand Aristide aus seinem Exil in Südafrika zurückkehren kann. Mitte Januar war bereits der frühere Diktator Jean-Claude Duvalier überraschend in Port-au-Prince eingetroffen. Im Februar teilte das haitianische Außenministerium dann mit, man habe Aristide einen neuen Paß ausgestellt, so daß dessen Heimkehr nichts mehr im Wege stehe.

Aristides Rechtsanwalt Ira Kurzban, der während dessen Regierungszeit Washingtons Bevollmächtigter für Haiti war, kritisierte gegenüber Prensa Latina jedoch, die USA und Frankreich versuchten, die Reise bis nach den Wahlen hinauszuzögern. Aristides Anhänger fordern hingegen, die jetzigen Präsidentschaftswahlen abzusagen und eine neue Abstimmung anzusetzen, an der alle Parteien Haitis teilnehmen können, darunter auch die vom Expräsidenten geführte »Fanmi Lavalas«.

Erschienen am 11. März 2011 in der Tageszeitung junge Welt