Nachfolger behauptet sich

Seit 100 Tagen ist Nicolás Maduro offiziell der gewählte Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela. Zwar hatte er das höchste Staatsamt nach dem Tod von Hugo Chávez am 5. März bereits geschäftsführend übernommen, doch erst am 19. April legte er vor der Nationalversammlung den Amtseid ab – fünf Tage nach seinem überraschend knappen Sieg bei der Präsidentschaftswahl. Mit 50,6 Prozent der Stimmen hatte er sich gegen den Oppositionskandidaten Henrique Capriles Radonski durchsetzen können. Das war ein knapperer Vorsprung, als die Umfragen im Vorfeld prognostiziert hatten, und viele prophezeiten Maduro daraufhin ein schnelles Scheitern.

 

Die Opposition setzt seither auf Konfrontation. Sie hat das Ergebnis der Wahl bis heute nicht anerkannt, und Capriles reist durch Lateinamerika, um sich als eigentlicher Repräsentant Venezuelas zu präsentieren. Gleichzeitig nehmen im Bundesstaat Miranda, dessen Gouverneur er ist, die Proteste gegen ihn wegen der Vernachlässigung seiner Amtspflichten zu. Noch am 2. Juni beschwor Capriles im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters einen baldigen Zusammenbruch der »illegitimen« Regierung von Nicolás Maduro durch »Referendum, Neuwahlen oder Rücktritt«. Einem Kabinettswechsel auf nicht in der Verfassung vorgesehenem Weg – also durch einen Putsch – erteilte er eine Absage und stellte sich damit etwa gegen seine Oppositionskollegin María Corina Machado, die kaum verhüllt einen Umsturz fordert.

Die meisten Staatschefs der Region zeigen Capriles trotzdem die kalte Schulter. Weder Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto noch der peruanische, Ollanta Humala, fanden sich zu Treffen mit ihm bereit. Als sich Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos hingegen im Mai auf eine als »privat« deklarierte Begegnung mit dem venezolanischen Oppositionsführer einließ, provozierte dies prompt bilaterale Spannungen zwischen den ungleichen Nachbarn. Venezuela, das die derzeit in Havanna laufenden Friedensverhandlungen zwischen Bogotá und der FARC-Guerilla unterstützt, drohte mit einem Rückzug. Man könne nicht für den Frieden in einem Land eintreten, von dem aus Krieg gegen den eigenen Staat geschürt werde, warnte die venezolanische Regierung. Erst am vergangenen Montag begruben Santos und Maduro bei einem offiziellen Treffen im südvenezolanischen Puerto Ayacucho das Kriegsbeil.

Eine von der Opposition angestrengte Überprüfung der Abstimmungsergebnisse vom 14. April durch den Nationalen Wahlrat (CNE) hat nicht das von ihr gewünschte Resultat gebracht. In 99,98 Prozent aller Wahlmaschinen gab es keine Abweichungen zwischen den elektronisch übermittelten Ergebnissen und den ausgedruckten Kontrollzetteln, die die Wähler in die Urnen geworfen haben. Nun aber beantragte sie beim Obersten Gerichtshof (TSJ) die Annullierung der Wahlen. Erfolgschancen haben die Regierungsgegner kaum, erklärte dazu in dieser Woche der Verfassungsrechtler Herman Escarrá, selbst ein Gegner von Hugo Chávez und Nicolás Maduro. »Ich glaube, daß es der Wahlanfechtung – ich habe sie gelesen, sie studiert – an juristischen, ethischen und moralischen Argumenten fehlt«, sagte er am 22. Juli der Tageszeitung Correo del Orinoco. Es sei der Opposition nicht gelungen, tatsächliche Beweise für Manipulationen vorzulegen, so Escarrá, es gehe lediglich »um ein von fern aufgenommenes Foto, einige Autobusse«. Ethisch und moralisch betrachtet, handele es sich um keine Wahlanfechtung, sondern de facto um eine Anerkennung des Wahlsiegs von Nicolás Maduro.

Stabilisierte Regierung

Maduro hat seine Regierung schneller stabilisieren können, als viele das erwartet haben. Von einer in bürgerlichen Medien herbeigeschriebenen Spaltung des bolivarischen Lagers und vor allem der von Chávez gegründeten Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) ist wenig zu sehen. Der als potentieller Konkurrent für Maduro gehandelte Parlamentspräsident Diosdado Cabello wurde in die Regierungsgeschäfte mehr eingebunden, als es bei dieser Funktion zu erwarten gewesen wäre. So leitete er Mitte Juli eine venezolanische Delegation bei einem offiziellen Besuch in China.

Demgegenüber verlor der Fernsehmoderator Mario Silva aufgrund einer von der Opposition präsentierten Tonaufnahme, in der er scharfe Kritik an Cabello und anderen führenden Repräsentanten der Regierung äußerte, ohne öffentliche Begründung sein seit Jahren beim staatlichen Fernsehen VTV ausgestrahltes Magazin »La Hojilla«. Während die Echtheit der Aufnahme, die Silva bestreitet, nach wie vor ungeklärt ist, mußte der Oppositionspolitiker Ismael García inzwischen einräumen, eine angeblich vorhandene zweite Audiodatei nicht publik machen zu können, weil sie »verschlüsselt und nicht zu öffnen« sei. Zuvor hatten sich führende Oppositionspolitiker jedoch bereits damit gebrüstet, die »ganze Aufnahme« zu kennen. Mario Silva setzt inzwischen seine Arbeit über den alternativen Rundfunksender MK 104.9 FM fort, der für ihn eigens ein Web-Fernsehprogramm eingerichtet hat.

Maduro selbst hält sich aus solchen Auseinandersetzungen, soweit es geht, heraus. Lieber zeigte er sich in den vergangenen Monaten als tatkräftiger Staatschef, der im Rahmen seiner »Regierung auf der Straße« das ganze Land bereist, um mit den Menschen vor Ort ihre konkreten Bedürfnisse zu diskutieren. Herausragend sind aber auch – selbst wenn man den offiziellen Statistiken mißtraut – die Erfolge der Kampagne »Patria Segura« (Sicheres Heimatland), in deren Rahmen Polizei, Armee und Nationalgarde der Kriminalität den Kampf angesagt haben. So konnte Innenminister Miguel Rodríguez am vergangenen Sonntag in VTV verkünden, daß sich die Zahl der Autodiebstähle in der Hauptstadt halbiert habe. Die Menge der Tötungsdelikte sank demnach aufgrund der erhöhten Präsenz der Uniformierten sogar um mehr als 58 Prozent.

Umbau der Sicherheitskräfte

Voraussetzung für diesen Erfolg war die noch unter Chávez in den vergangenen Jahren in Angriff genommene und noch nicht abgeschlossene Umstrukturierung der venezolanischen Sicherheitskräfte. Aus einer unübersichtlichen Vielzahl von regionalen und lokalen Polizeieinheiten, die als korrupt und ineffizient verschrien waren und oftmals auch Lokalfürsten als mehr oder weniger private Miliz dienten, wurde eine Nationale Bolivarische Polizei geformt. Diese hat vor allem in den als am unsichersten geltenden Gegenden von Caracas ständige Posten eingerichtet und fährt rund um die Uhr Patrouille. Zugleich aber wird die Sozialarbeit in diesen Gegenden verstärkt. Unter aktiver Beteiligung der Bevölkerung sollen durch die »Missionen«, die Sozialprogramme der Regierung, die materiellen Ursachen der Kriminalität wie Armut und Perspektivlosigkeit bekämpft werden.

Zudem hat eine umfassende Kampagne gegen Korruption und Unterschlagung begonnen. Nahezu täglich melden die venezolanischen Medien derzeit Festnahmen hochrangiger Funktionäre aus Ministerien, Missionen und Regierungsinstitutionen, die in die Kasse gegriffen haben sollen. So traf es hohe Beamte der Einwanderungsbehörde SAIME, des mit der Ausbeutung der Bodenschätze betrauten Staatskonzerns CVG sowie der Bank für soziale und wirtschaftliche Entwicklung (BANDES). Staatschef Maduro hat die Kontrollinstanzen des Landes aufgerufen, die Ermittlungen auf allen Ebenen fortzusetzen: »Wir müssen mit allem aufräumen und für das venezolanische Volk Moral und Respekt zurückgewinnen. Die korrupte Rechte wird immer korrupt sein, aber wir müssen alles säubern, was wir säubern müssen!«

Die spürbaren Erfolge in Bereichen, die zu den größten Sorgen der Venezolaner gehören, spiegeln sich in der Akzeptanz der Regierung wider. In einer nach dreimonatiger Amtszeit Maduros vom Meinungsforschungsinstitut ICS veröffentlichten Erhebung bewerteten 56,2 Prozent der Befragten dessen Amtsführung als »exzellent«, »gut« oder »einigermaßen«. 53,4 Prozent erwarteten, daß sich ihre wirtschaftliche Lage bessern werde, nur 21,2 Prozent befürchten eine Verschlechterung. Als »Anhänger von Präsident Maduro« bezeichneten sich 55,9 Prozent der Befragten. Für ICS-Direktor Lorenzo Martínez sind diese Zahlen ein Beleg dafür, daß sich Maduro an der Spitze des Staates etabliert hat. Demgegenüber ist die Zustimmung für die Oppositionsparteien wieder eingebrochen – wenige Monate vor den Ende des Jahres anstehenden Kommunalwahlen ein verheerendes Signal für die Regierungsgegner.

Maduro aus Kolumbien?

Diese versuchen daher, die wachsende Popularität des Staatschefs durch Gerüchte zu untergraben und die Legitimität seiner Regierung immer neu in Frage zu stellen. In den vergangenen Wochen griffen etwa der deutsche Focus und der Schweizer Blick eine schon vor der Wahl in Venezuela gestreute Legende auf, Maduro sei nicht in Caracas, sondern in Kolumbien geboren worden. Als »pikantes Detail aus dem Leben des amtierenden Staatsoberhaupts« feierte das der Focus Mitte Juni, denn nach den Bestimmungen der venezolanischen Verfassung dürfen nur im Land geborene Staatsbürger das Präsidentenamt ausüben: »Der knapp zwei Meter große einstige Busfahrer Maduro könnte die Diskussionen beenden, würde er seine Geburtsurkunde vorlegen. Doch der Chávez-Nachfolger schweigt.«

Natürlich können sich wohlsituierte Korrespondenten von Focus oder Blick kaum vorstellen, daß jemand vielleicht gar keine Geburtsurkunde hat. Doch in Lateinamerika leben Millionen Menschen ohne Ausweispapiere. Es war gerade Hugo Chávez, der in Venezuela eine Kampagne gestartet hatte, möglichst alle Bürger mit Dokumenten auszustatten. Die Familie Maduro ihrerseits war schon zu Zeiten, als der 1962 geborene Nicolás noch ein Kind war, aktiv in linken Organisationen, die von der damaligen Regierung verfolgt wurden. Sie hatten damals sicherlich anderes zu tun, als sich bei den sie suchenden Stellen zu melden, um das Baby registrieren zu lassen.

Als Beleg für das Gerücht, Maduro sei in Kolumbien zur Welt gekommen, zitiert der in Buenos Aires (Argentinien) sitzende Focus-Korrespondent Andreas Fink aus kolumbianischen Zeitungen vier namenlose Zeugen aus der grenznahen Stadt Cucutá. Sie wollen sich an einen dort lebenden »hochgewachsenen Nicolás Maduro« erinnern – rund vier Jahrzehnte nach dem fraglichen Zeitraum. Keine Erwähnung findet in den deutschsprachigen Artikeln hingegen zum Beispiel die Aussage von Castro Gil Rivera, einem Veteran und Mitbegründer der linkssozialdemokratischen Partei »Wahlbewegung des Volkes« (MEP). In der venezolanischen Tageszeitung Correo del Orinoco schrieb dieser am 10. Juli, daß er die Eltern des heutigen Präsidenten gut gekannt habe, beide seien Aktivisten seiner Partei in der Ortsgruppe Caracas gewesen. »Ich habe den heutigen Präsidenten Nicolás Maduro Moros bereits als Kind kennengelernt, als er seinen Vater oft zu den Treffen der MEP im Viertel San Juan begleitete«, schrieb der betagte Politiker in dem Blatt. Aussage gegen Aussage? Sicherlich. Aber warum sollte einem gestandenen Aktivisten, der sich mit Name und Adresse zu seinen Angaben bekennt, weniger zu glauben sein als anonymen »Zeugen« aus dritter oder vierter Hand?

Ein »notwendiger Schritt«

Voraussetzung dafür, daß derartige Versuche, die Autorität des Staatschefs zu untergraben, überhaupt eine Erfolgschance haben können, war jedoch der geringe Abstand zwischen Maduro und seinem Gegner Capriles bei der Wahl am 14. April. Sein Vorsprung betrug dem offiziellen Endergebnis des Nationalen Wahlrats (CNE) zufolge nur gut 220000 Stimmen. Dagegen hatte Hugo Chávez am 7. Oktober 2012 Capriles noch mit einem Vorsprung von über 1,5 Millionen Stimmen geschlagen. Zwar wäre ein Wahlsieg mit 50,6 Prozent andernorts ein klarer Triumph – Barack Obama etwa gewann die US-Präsidentschaftswahl 2012 mit 50,96 Prozent der Stimmen, und Angela Merkel kann von einem solchen Ergebnis nur träumen –, doch für die Unterstützer des revolutionären Prozesses in Venezuela war es ein Schock, der sich fast wie eine Niederlage anfühlte. Denn nie zuvor seit der erstmaligen Wahl von Hugo Chávez an die Staatsspitze Venezuelas am 6. Dezember 1998 hatte das bolivarische Lager nur so knapp gewonnen. Hugo Chávez hatte sich im Oktober 2012 mit mehr als 55 Prozent der Stimmen durchgesetzt, im Jahr 2006 waren es sogar 62,8 Prozent gewesen. Zudem hatten im Vorfeld praktisch alle Prognosen eher darauf hingedeutet, daß Nicolás Maduro das Ergebnis von Chávez im Oktober würde wiederholen oder sogar übertreffen können. Für den »notwendigen Schreck«, wie der venezolanische Publizist Vladimir Acosta das Ergebnis Ende April bezeichnete, waren mehrere Faktoren ausschlaggebend: Fehler im Wahlkampf, politische Unzufriedenheit in der Bevölkerung und auch unter den Unterstützern der bolivarischen Bewegung, grundsätzliche Probleme des revolutionären Prozesses in Venezuela und Ursachen, die in den Personen Hugo Chávez und Nicolás Maduro zu suchen sind.

Wenige Tage nach der Wahl hatte die Tageszeitung Últimas Noticias Repräsentanten der verschiedenen Meinungsforschungsinstitute zu einem Diskussionsforum über die Resultate zusammengeholt. Angesprochen auf die Differenz zwischen ihren Prognosen und dem endgültigen Ergebnis erläuterten diese, daß es in den letzten zehn Tagen vor der Wahl einen regelrechten Einbruch in der Zustimmung zu Maduro gegeben habe. Dieser habe sich zwar in den Umfragen widergespiegelt, die entsprechenden Ergebnisse konnten aber aufgrund der geltenden Gesetze nicht veröffentlicht werden. Das venezolanische Recht sieht vor, daß in den zehn Tagen vor einer Wahl keine Umfrageresultate mehr publiziert werden dürfen. Als Ursachen benannten die Chefs von Instituten wie Datanálisis vor allem Fehler im Wahlkampf. Maduro sei »als Chávez gestartet und als Maduro gelandet«, hieß es. Der unmittelbar nach dem Abschluß der offiziellen Trauerzeremonien für Hugo Chávez begonnene Wahlkampf der Bolivarianos sei viel zu schnell in eine »Volksfestatmosphäre« abgerutscht, die nicht zu der Gemütslage der Venezolaner paßte. Zudem habe die Taktik Capriles’ verfangen, der auf eine ähnlich radikale Abgrenzung von den Errungenschaften des bolivarischen Prozesses wie in der Vergangenheit verzichtet und sogar eine Beibehaltung der sozialen Missionen versprochen hatte. Das erleichterte es manchen, die früher Chávez gewählt hatten, diesmal auf eine Stimmabgabe zu verzichten oder gleich für Capriles zu stimmen.

Kritische Unterstützung der KP

In der Zeitung der venezolanischen Kommunisten, Tribuna Popular, versuchte Fernando Arribas García eine umfassende Analyse des Ergebnisses und vor allem auch der eigenen Verluste. Die Kommunistische Partei (PCV) hatte ihr Ergebnis vom Oktober im April fast halbiert und war von 490000 auf 283000 Stimmen abgestürzt. Damit war es ihr wie den meisten anderen Bündnispartnern der PSUV gegangen, während die von Chávez gegründete Partei mit einem Rückgang von 6,4 auf 6,2 Millionen Stimmen verhältnismäßig gut davonkam.

Für Arribas ist diese ungleiche Verteilung der Verluste ein Beleg dafür, daß weder das Fehlen von Chávez noch die Unzufriedenheit mit Korruption und Bürokratismus im Staatsapparat Venezuelas allein eine ausreichende Erklärung für die Einbußen seien. »Es macht keinen Sinn anzunehmen, daß die Partei, die am wenigsten mit der Regierungsführung assoziiert war, von der Reaktion des Volkes mit am meisten bestraft wird«, so Arribas mit Blick auf die von der PCV seit jeher auch öffentlich immer wieder geäußerte Kritik an Mißständen im Kabinett und in der Verwaltung sowie im revolutionären Prozeß. Diese Partei habe bei der Wahl im vergangenen Oktober viele Stimmen erhalten, die durch den monatelangen Kampf um ein neues Arbeitsgesetz innerhalb der linken Gewerkschaftsbewegung mobilisiert worden seien. Nach dem 7. Oktober sei die Verbindung mit den linken Gewerkschaftern jedoch schwächer geworden, da mit der Verabschiedung der neuen Legislation das Thema von der Tagesordnung verschwunden sei. Zudem sorgte die Gründung eines regierungsnahen Gewerkschaftsbundes, der CBST (Bolivarische Sozialistische Arbeiterzentrale) in Konkurrenz zur linken ­UNETE für Unzufriedenheit unter den revolutionären Arbeitern. Die ­UNETE, die 2012 noch aktiv Wahlkampf für Hugo Chávez betrieben hatte, blieb 2013 auffallend still. Auch die PCV konnte deren Mitglieder nicht mehr dazu mobilisieren, Nicolás Maduro die Stimme zu geben – zumal dieser als ein Hauptbefürworter der CBST-Gründung galt. »Durch die allgemeine Unzufriedenheit unter den bewußtesten und am meisten fortgeschrittenen Schichten der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung erhielt die PCV nicht die Stimmen Zehntausender, die uns bei der Präsidentschaftswahl davor noch unterstützt hatten und diesmal in das Lager der ›strafenden Stimmenthaltung‹ übergingen«, so Arribas.

Die PCV spart auch weiterhin nicht mit Kritik an der von ihr unterstützten Regierung. So führt sie derzeit gemeinsam mit anderen linken Organisationen eine Kampagne für die Freilassung des als »Sänger der Guerilla« bekannten FARC-Funktionärs Julián Conrado. Dieser sitzt seit mehr als zwei Jahren in einem venezolanischen Gefängnis, nachdem er im Grenzgebiet zu Kolumbien festgenommen wurde. Ein Asylantrag wurde bislang ebensowenig entschieden wie ein Auslieferungsersuchen Bogotás. Zugleich wird vom Kabinett in Caracas gefordert, sich für eine Rückkehr des in Frankreich inhaftierten Ilich Ramírez (»Carlos, der Schakal«) einzusetzen. Es sei ein Widerspruch, daß die Regierung richtigerweise bereit sei, dem ehemaligen Geheimdienstler Edward Snowden Asyl zu gewähren, »aber nichts für diese revolutionären Kämpfer zu tun«, kritisierte PCV-Generalsekretär Oscar Figuera Mitte Juli bei der wöchentlichen Pressekonferenz seiner Partei in Caracas.

Maduro muß allerdings auch die sich gerade erst wieder normalisierenden Beziehungen zu Kolumbien im Blick behalten. Schon Äußerungen von Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz im Dezember 2011, wonach Conrado nicht an Kolumbien ausgeliefert werden könne, weil ihm dort »die Todesstrafe« drohe, hatten in Bogotá für Empörung gesorgt. Zwar sind in Venezuelas Nachbarland politische Morde nach wie vor an der Tagesordnung – die Todesstrafe ist jedoch formell abgeschafft. Sollte Caracas nun einem Mitglied der FARC-Führung Asyl gewähren, würde dies sicherlich erneut eine Kampagne der kolumbianischen und venezolanischen Rechten auslösen. Damit wäre zu rechnen, obwohl Kolumbien seinerseits etwa dem Putschisten Pedro Carmona Estanga Asyl gewährt. Dieser hatte sich nach dem kurz darauf zum Scheitern gebrachten Staatsstreich gegen Chávez im April 2002 als neuen »Präsidenten der Republik Venezuela« vereidigen lassen.

Erschienen am 27. Juli 2013 in der Tageszeitung junge Welt