Mysterium des Tages: Diosdado Cabello

Die Nachrichtenagentur AP beweist Phantasie. Am Montag verbreitete sie eine als »exklusiv« gekennzeichnete Nachricht: Diosdado Cabello, »der als mächtigster Mann in Venezuela nach Präsident Nicolás Maduro angesehen wird«, habe sich im Juli in Caracas mit einer Person getroffen, »die in engem Kontakt mit der US-Regierung steht«. Die Agentur beruft sich auf »hochrangige Regierungskreise«.

Aber wer ist Cabello eigentlich? AP klärt die Leser auf: »Als Vorsitzender der Nationalversammlung verfügt Cabello über die Macht, Maduro des Amtes zu entheben.« Vorsitzender der Nationalversammlung? Moment mal, gab es da nicht einen Herrn Juan Guaidó, der seit Januar Parlamentspräsident ist und sich als solcher selbst zum Staatschef Venezuelas ausrief?

Die Auflösung des Rätsels ist natürlich einfach: Offenkundig ist man bei der deutschsprachigen Redaktion von AP mit dem Übersetzen von Meldungen überfordert. Denn Cabello ist Präsident der Verfassunggebenden Versammlung, auf Spanisch »Asamblea Nacional Constituyente«. Das klingt, zugegeben, so ähnlich wie »Asamblea Nacional« für Nationalversammlung, wie das reguläre Parlament Venezuelas heißt. Aber hatte Maduro das nicht entmachtet, indem er die Verfassunggebende Versammlung bildete? So erzählen es uns die großen Medien doch seit Monaten! Und jetzt hat er sich versehentlich gleich selbst entmachtet?

Fakt ist: Die 1999 verabschiedete Verfassung Venezuelas (auf die sich auch Guaidó und Co. berufen) legt fest, dass eine neue Constituyente allen anderen Staatsgewalten übergeordnet ist, also auch Parlament und Regierung. Deshalb hatte Maduro 2017 nach der Wahl der Verfassunggebenden Versammlung sein Amt den neuen Abgeordneten zur Verfügung gestellt – und die bestätigten ihn im Amt. Aber das passt natürlich nicht in das hierzulande gepflegte Bild. Recherche versaut das schönste Vorurteil.

Erschienen am 20. August 2019 in der Tageszeitung junge Welt