»Mutter aller Demos«

Für den heutigen Mittwoch ruft Venezuelas rechte Opposition zur »Mutter aller Demonstrationen« in Caracas auf. Anlass ist der 19. April, neben dem 5. Juli einer der wichtigsten nationalen Feiertage des südamerikanischen Landes. Im Jahr 1810 begann zu diesem Datum der Kampf um die Unabhängigkeit Venezuelas von der spanischen Kolonialherrschaft.

Nicht nur die Regierungsgegner nutzen diesen Jahrestag zur Mobilisierung – auch Staatschef Nicolás Maduro rief zu einer Großdemonstration »für die Verteidigung des Heimatlandes« auf. Sie soll sich an der Plaza Venezuela sammeln und von dort zur Avenida Bolívar im Zentrum der Metropole ziehen. Damit versperren die Regierungsanhänger auch den Oppositionellen den Weg in das Regierungsviertel. Man werde auf alles vorbereitet sein, kündigte Diosdado Cabello an. Der Vizechef der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) erklärte am Montag (Ortszeit) bei einer Pressekonferenz, man werde sich dort versammeln, »wo es nötig ist« – und zugleich die gesamte Avenida Bolívar füllen. Für letzteres wären etwa 200.000 Menschen nötig. Parallel dazu mobilisiert das »Forum von Sao Paulo«, ein Zusammenschluss linker Parteien Lateinamerikas, zu einem »Welttag der Solidarität für ein souveränes Venezuela«. Wie Kulturminister Adán Chávez informierte, sind in diesem Rahmen Kundgebungen und Veranstaltungen in mehr als 20 Staaten geplant.

Die Regierungsgegner werden sich wieder im Osten der Hauptstadt versammeln, wo die Viertel der Mittelschicht liegen. Was die Teilnehmer dort erwartet, ist unklar. Zwar kündigten Sprecher der Opposition wie der stellvertretende Parlamentspräsident Freddy Guevara erneut einen »entscheidenden Tag« an – doch in der Vergangenheit hatte sich das oft als leeres Gerede erwiesen.

Trotz vielfacher Kritik an der Regierung: Viele Venezolaner erwarten auch von der Opposition nicht mehr viel. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Hinterlaces, über die Últimas Noticias am Montag online berichtete, glauben 61 Prozent der Befragten, dass auch die Rechten keinen Weg aus der Wirtschaftskrise finden würden – nur 36 Prozent trauen ihnen zu, eine Lösung zu entwickeln. Danach gefragt, ob sie Maduro oder eher einem Oppositionellen zutrauen, wirksame Maßnahmen zur Überwindung der Krise zu entwickeln, sprachen sich 55 Prozent für den amtierenden Staatschef aus, 42 Prozent setzten ihr Vertrauen in einen Vertreter des rechten Lagers.

Auch in La Vega, einem von Armensiedlungen geprägten Viertel der Hauptstadt, erwartet man von den Regierungsgegnern nichts mehr. Bei den Parlamentswahlen im Dezember 2015 hatten sich dort noch 54 Prozent für die Liste des Oppositionsbündnisses MUD (Tisch der demokratischen Einheit) entschieden. Doch an den Protesten beteiligen sich die Einwohner kaum. Wie junge Welt von einer Einwohnerin erfuhr, versuchte in der vergangenen Woche eine Gruppe junger Regierungsgegner, erst einen Schnapsladen und dann die örtliche Filiale der staatlichen Lebensmittelmarktkette Mercal zu attackieren. »Da sind dann die Menschen aus ihren Hütten gekommen – alte Leute, Kinder, Frauen, Männer, bewaffnet mit Messern, Baseballschlägern usw. – und haben verhindert, dass der Mercal geplündert wurde.« In Chacaito warfen Aktivisten Brandsätze in ein Wohnhaus, in Palo Grande attackierten sie eine öffentliche Bibliothek und eine Restaurantschule.

Verteidigungsminister Padrino López macht für solche Vorfälle »Banden von Gewalttätern« verantwortlich, die »von rechtsradikalen Organisationen aus dem Ausland« finanziert würden. Ihr Ziel sei es, international den Eindruck zu erwecken, dass Venezuela im Chaos versinke, um auf diese Weise eine Intervention zu rechtfertigen, sagte er am Montag vor Milizionären.

Erschienen am 19. April 2017 in der Tageszeitung junge Welt