Mordauftrag aus Bogotá

Sie waren für seinen Schutz verantwortlich, doch sie wurden zu seinen Mördern. Der am 1. Oktober zusammen mit seiner Partnerin María Herrera in Caracas ermordete venezolanische Parlamentsabgeordnete Robert Serra (jW berichtete) ist offenbar das Opfer seiner eigenen Leibwächter geworden. Das teilte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am Mittwoch abend (Ortszeit) in einer Fernsehansprache mit.

 

Nachdem mehrere der mutmaßlichen Tatbeteiligten festgenommen werden konnten und geständig sind, konnte der Ablauf des Verbrechens weitgehend rekonstruiert werden. Maduro erläuterte, dass die für den Schutz des Politikers verantwortlichen Personen – unter ihnen mehrere Beamte der Polizei von Caracas – vom Chef einer paramilitärischen Gruppe angeheuert wurden, Padilla Leyva alias »El Colombia«. Dieser habe die Leibwächter geworben und sie anschließend in bar für ihre Tat bezahlt. Doch auch Leyva selbst, der sich noch auf der Flucht befindet und inzwischen von Interpol gesucht wird, sei nur ein Mittelsmann gewesen. Die eigentlichen Auftraggeber des Verbrechens seien Paramilitärs aus Kolumbien gewesen, zeigte sich der venezolanische Staatschef überzeugt. Namen nannte er nicht.

Gestützt auf die Aufnahmen der Sicherheitskameras im und am Haus des Abgeordneten, die Aussagen der mutmaßlichen Mittäter sowie auf die Ergebnisse der Autopsie, konnte der Ablauf des Verbrechens inzwischen weitgehend aufgeklärt werden. Demnach wurde der 21jährige Edwin Torres Camacho, der wegen seines Berufs »El Poli« (»Der Polizist«) genannt wurde, am 1. Oktober gegen 21.30 Uhr von Serras Partnerin María Herrera in das Haus eingelassen. Sie hatte keinen Grund, dem späten Gast zu misstrauen, denn Torres war ihr als Chef der Leibwache wohlbekannt. Kurz darauf ließ Torres seine Komplizen in das Haus, unter ihnen Leyva. Dieser ermordete den Aussagen zufolge zunächst die junge Frau und stieg anschließend in den zweiten Stock des Wohnhauses hinauf, in dem sich Serra aufhielt. Er wurde von den Tätern brutal zusammengeschlagen und anschließend erwürgt. Nach wenigen Minuten verließen die Mörder eilig das Gebäude und ließen den Sterbenden zurück. Insgesamt sei das Verbrechen von den Ausführenden und ihren Hintermännern drei Monate lang vorbereitet worden, erklärte Maduro aufgrund der Angaben der geständigen Täter.

Offenbar war der Politiker, der 2009 zum jüngsten Parlamentsabgeordneten in der Geschichte Venezuelas gewählt worden war, manchen gefährlich geworden. Der 1987 geborene Serra gehörte in den Monaten vor seinem Tod zu den Politikern, die am deutlichsten vor den Machenschaften der extremen Rechten und auch des früheren kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe gewarnt hatten. So hatte Serra Mitte September auf mutmaßliche Verbindungen zwischen dem zuvor wegen terroristischer Umtriebe aus Kolumbien ausgewiesenen Venezolaner Lorent Gómez Saleh und Uribe hingewiesen. Der Exstaatschef forderte wiederholt den Sturz der demokratisch gewählten Regierung Venezuelas, die er eine »Diktatur« nennt. Bereits unmittelbar nach dem Mord an Serra hatte ihn Maduro für die Tat verantwortlich gemacht, was Uribe zurückwies. Doch Kolumbiens gegenwärtiger Staatschef Juan Manuel Santos will eine Verwicklung seines Amtsvorgängers offenbar nicht ausschließen – von einem offiziellen Protest gegen die Anschuldigungen aus Caracas wurde jedenfalls nichts bekannt.

Schon vor Jahren waren paramilitärische Gruppen aus Kolumbien nach Venezuela eingesickert. Viele dieser Banden haben sich in der Grenzregion festgesetzt und profitieren vom Schmuggel, einige drangen jedoch bis in die Hauptstadt vor. Bereits 2004 wurde in Venezuela eine Gruppe von 150 Söldnern ausgehoben, deren Auftrag die Ermordung führender Köpfe der »Bolivarischen Revolution« war. Venezuelas damaliger Präsident Hugo Chávez proklamierte als Reaktion darauf die »antiimperialistische Phase« des revolutionären Prozesses und begann mit dem Aufbau der aus Freiwilligen zusammengesetzten »Bolivarischen Miliz«.

Erschienen am 17. Oktober 2014 in der Tageszeitung junge Welt