Modeketten mitschuldig

In Bangladesch haben am Montag Tausende Beschäftigte der Textilindustrie für bessere Arbeitsbedingungen und schärfere Sicherheitsmaßnahmen demonstriert. Sie reagierten damit auf den verheerenden Großbrand in einer Textilfabrik im Industrieviertel Ashulia am Rande der Hauptstadt Dhaka, bei dem in der Nacht zum Sonntag jüngsten offiziellen Angaben zufolge mindestens 110 Menschen ums Leben gekommen waren (jW berichtete). Viele Unternehmen blieben zunächst geschlossen. Für den heutigen Dienstag hat die Regierung des südasiatischen Landes einen nationalen Trauertag ausgerufen.

Grund für die hohe Opferzahl am Wochenende waren offensichtlich die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen im Werk, das Bekleidung für ausländische Abnehmer wie C&A und Walmart produzierte. Die Nachrichtenagentur dapd zitierte am Montag einen Überlebenden der Katastrophe. Dieser habe beim Ton des Feueralarms aus dem Gebäude flüchten wollen, sei aber von Vorgesetzten aufgehalten worden. »Die Manager sagten zu uns: ›Nichts passiert. Der Feueralarm ist nur kaputtgegangen. Geht wieder an die Arbeit‹«, erzählte er. »Aber wir begriffen schnell, daß es brannte. Als wir wieder zum Notausgang rannten, fanden wir ihn von außen verschlossen, und es war zu spät.« Er sei schließlich im ersten Stock aus dem Fenster gesprungen. Ein weiterer Augenzeuge sagte, die Feuerlöscher in der Fabrik hätten nicht funktioniert: »Die waren nur dazu da, bei den Kunden oder den Behörden einen guten Eindruck zu machen.«

Die Zustände im Betrieb waren den internationalen Auftraggebern des Unternehmens Tazreen Fashions Ltd. jedoch offenbar lange bekannt, wie die New York Times am Montag berichtete. Demnach habe ein für »ethische Akquise« zuständiger Walmart-Manager bereits im Mai 2011 bei einer Besichtigung der Fabrik Bedingungen kritisiert, die »ein hohes Risiko« und eine Verletzung der Vereinbarungen darstellten. Konsequenzen daraus hat der Konzern offenbar nicht gezogen.

In Deutschland hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nun C&A aufgefordert, einem internationalen Brandschutzabkommen beizutreten, wie es der US-Branchenriese PVH (»Tommy Hilfiger«, »Calvin Klein«) im Frühjahr mit Gewerkschaften in Bangladesch ausgehandelt hatte und das Brandschutzschulungen sowie die Bildung von betrieblichen Arbeitsschutzkomitees vorsieht. Allerdings verlangt PVH, daß mindestens drei weitere wichtige Textilkonzerne dem Abkommen beitreten, bevor dieses in Kraft tritt. Der ver.di-Experte für den Textileinzelhandel, Johann Rösch, kritisierte am Montag in Berlin, daß Modeketten wie H&M und Zara eine derartige Verpflichtung noch immer ablehnen und forderte: »Die Textilunternehmen, die bei uns ihre Produkte verkaufen und in Bangladesch fertigen lassen, dürfen nicht weiter über Leichen gehen.« Die Firmen seien dafür mitverantwortlich, »unter welchen katastrophalen Bedingungen sie fertigen lassen«.

Auch die Bundestagsabgeordnete Karin Binder (Die Linke) will deutsche Kaufhäuser und Discounter zur Verantwortung ziehen. »Unternehmen müssen für die Arbeitsbedingungen, unter denen ihre Produkte hergestellt werden, in Haftung genommen werden können«, fordert Binder.

Erschienen am 27. November 2012 in der Tageszeitung junge Welt