Minister ohne Oberleib des Tages: Santi Vila

Revolutionen fressen gerne mal ihre Kinder. Die in Ungnade Gefallenen werden dann, wie es sich gehört, auch aus allen historischen Zeugnissen getilgt. So verschwand Leo Trotzki aus unzähligen Darstellungen der Oktoberrevolution, und auch andere »Verräter« wurden per Retusche getilgt.

Auch die »legitime Regierung« Kataloniens bemüht sich derzeit um eine widerspruchsfreie Darstellung. In der vergangenen Woche startete das Kabinett des im belgischen Exil weilenden Ministerpräsidenten Carles Puigdemont eine neue Internetseite, governlegitim.org. Groß ist auf ihr ein Foto des von Madrid entmachteten Kabinetts zu sehen, dessen eine Hälfte im Gefängnis und dessen andere in Brüssel sitzt. Nur einer war auf dem am 1. Oktober entstandenen Gruppenfoto zuviel: der damalige Kultur- und Unternehmensminister Santi Vila. Dieser hatte am 26. Oktober seinen Rücktritt erklärt, bevor das katalanische Parlament die unabhängige Republik proklamierte. Also darf er natürlich auch nicht auf einem Foto auftauchen, das Kataloniens »legitime Regierung« zeigt – aber ein neues Bild des Kabinetts ist momentan etwas schwierig zu schießen.

In Zeiten von Photoshop ist so ein Problem natürlich einfach zu lösen. Früher waren noch Profis mit Schere und Pinsel nötig, um die historische Wahrheit zurechtzurücken. Doch wie schon damals unterlaufen den Künstlern auch heutzutage gerne mal Fehler. So hat der unbekannte Retuscheur zwar Santi Vila aus dem Gruppenfoto entfernt – aber seine Beine vergessen. Ein Minister ohne Oberleib!

Das Missgeschick fiel schnell auf, und umgehend wurde eine Retusche der Retusche angeordnet. Inzwischen fehlen auch die Beine des abtrünnigen Politikers auf dem Foto. Doch die hämischen bis bösartigen Kommentare waren schneller. Ein User vermutete gar Vorbereitungen für die Zeit nach der Wahl am 21. Oktober: »Santi Vila hat noch einen Fuß im Kabinett.«

Erschienen am 20. November 2017 in der Tageszeitung junge Welt