junge Welt, 15. April 2014

Milliarden für Kiew

junge Welt, 15. April 2014Wortgewaltig, aber ohne konkrete Belege haben die EU und die Bundesregierung erneut Rußland für die Eskalation der Lage in der Ukraine verantwortlich gemacht. Der niederländische Außenminister Frans Timmermans zeigte sich beim Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Luxemburg am Montag überzeugt, daß sich im Osten des Landes die Vorgänge auf der Krim vom März wiederholten: »Wenn etwas wie ein Pferd aussieht und wie ein Pferd herumläuft, dann ist es normalerweise ein Pferd und kein Zebra.« Die Krim hatte sich nach einem Referendum der Russischen Föderation angeschlossen. Die EU-Minister beschlossen, dem Ende Februar an die Macht geputschten Regime in Kiew Finanzhilfen in Höhe von einer Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen. Zudem sollen fast alle Zölle auf Waren aus dem osteuropäischen Staat gestrichen werden. Hinzu kommen weitere Milliardenhilfen von IWF und aus den USA. »Es ist unverantwortlich, daß die EU der illegitimen Regierung in der Ukraine, an der Faschisten beteiligt sind und die die Situation in der Ostukraine eskaliert und dort auf Gewalt setzt, jetzt großzügig mit Finanzhilfen unter die Arme greift«, kommentierte das die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen gegenüber jW.

 

Tatsächlich fühlt sich die russischstämmige Bevölkerung im Osten der Ukraine vom Kiewer Regime bedroht. Wie der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Montag mitteilte, gingen sehr viele an den Staatschef adressierte Hilfsersuchen aus der Region ein. Der Präsident verfolge die Entwicklung mit großer Sorge, zitierte die Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Außenminister Sergej Lawrow bekräftigte, Moskau wolle keine Destabilisierung: »Es ist in Rußlands Interesse, daß die Ukraine vereint ist und sich alle nationalen, ethnischen Gruppen und alle Regionen ohne Ausnahme als gleichberechtigte Bürger der Ukraine fühlen.« Es könne aber nicht sein, daß Neonazis als Teil der in Kiew regierenden Koalition Teile der Bevölkerung täglich als Untermenschen beschimpften und demütigten, so Lawrow.

Trotzdem beharrt auch Berlin auf Schuldzuweisungen an die Adresse Moskaus. »Vieles deutet darauf hin, daß die in der Ostukraine bewaffneten Gruppen Unterstützung aus Rußland erhalten«, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Montag in Berlin. Auf die Bitte von Journalisten um konkrete Belege dafür, beschied die Sprecherin des Auswärtigen Amts, Sawsan Chebli: »Letztendlich müssen Sie jetzt erstmal damit leben, daß wir Ihnen sagen: Es gibt Anhaltspunkte, daß es prorussische Kräfte sind, die da unterwegs sind, von Rußland mit unterstützt.«

Unterdessen sandten die Machthaber in Kiew widersprüchliche Signale aus. »Präsident« Olexander Turtschinow unterzeichnete am Montag nachmittag den Einsatzbefehl für die Sondereinheiten, die schon vor Tagen aus dem Westen des Landes in Marsch gesetzt worden waren. Am Vormittag hatte er noch mit Äußerungen, man könne parallel zur Präsidentschaftswahl am 25. Mai ein Referendum über die Staatsform der Ukraine abhalten, Hoffnungen auf Entspannung geweckt. Eine Föderalisierung hatte er dabei jedoch erneut abgelehnt.

Unterdessen wurden Medienberichten zufolge am Montag unter anderem in Schdanowka nahe Donezk weitere Gebäude besetzt, um Druck für größere Selbstbestimmung der Regionen zu machen.

Erschienen am 15. April 2014 in der Tageszeitung junge Welt