Militär in den Straßen von Caracas – Opposition in Venezuela lehnt Gewaltverzicht ab

Der Versuch der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), in Venezuela zu vermitteln, scheint gescheitert zu sein.

Statt eines Kompromisses zwischen der Regierung von Präsident Hugo Chávez und der reaktionären Opposition kam es in der vergangenen Woche zu blutigen Straßenschlachten in der Innenstadt von Caracas, bei denen mehrere Menschen von der Policía Metropolitana erschossen wurden. Das Militär hat strategische Punkte der Stadt besetzt, um weitere Auseinandersetzungen zu verhindern.

Auslöser der Zusammenstöße war ein seit mehreren Wochen anhaltender Streik von Polizeibeamten der Policía Metropolitana (PM). Die Streikenden fordern vom Oberbürgermeister von Caracas, Alfredo Peña, die Auszahlung ausstehender Gehälter. Peña, der in Opposition zu Chávez steht, ist als Oberbürgermeister Befehlshaber der PM. Als die Streikenden, unterstützt von Mitgliedern der Basisorganisation Círculos Bolivarianos, versuchten, den Amtssitz Peñas zu blockieren, setzten Einheiten der PM, die sich dem Streik nicht angeschlossen hatten, zunächst Tränengas gegen die Demonstranten ein. Als diese sich mit Steinen wehrten, schossen die Polizisten in die Menge. Dutzende Verletzte wurden in die Krankenhäuser gebracht, einer starb kurz darauf. Widersprüchlichen Meldungen zufolge erlagen in den folgenden Tagen zwischen einer und drei weiteren Personen ebenfalls ihren Verletzungen.

Um die Auseinandersetzungen zu beenden, beschloss das Oberkommando der Streitkräfte, gemeinsame Patrouillen von Militärs und Nationalgarde an strategischen Punkten der Hauptstadt zu postieren. Diese sollten so lange im Einsatz bleiben, bis der Frieden in der Hauptstadt wieder gesichert sei.

Bürgermeister Freddy Bernal, im Gegensatz zum Oberbürgermeister ein treuer Anhänger von Chávez, begrüßte die Stationierung der Soldaten. Er kündigte an, durch die Sammlung von mehr als 300 000 Unterschriften eine Volksabstimmung zur Absetzung Peñas durchsetzen zu wollen. Verschiedene Parteien und Organisationen des Regierungslagers haben bereits mit der Sammlung begonnen. Andere forderten, dass die Policía Metropolitana mittels Notstandsmaßnahmen dem Zugriff Peñas entzogen werden müsste. Eine solche Maßnahme sieht die Verfassung in Ausnahmesituationen vor.

In den Tagen zuvor hatte es noch so ausgesehen, als sei die Regierung bereit, den Forderungen der Opposition nachzugeben. Der Generalsekretär der OAS, Cesar Gaviria, hatte sich als Vermittler eingeschaltet und so direkte Gespräche zwischen der oppositionellen „Demokratischen Koordination“ und der Regierung ermöglicht. Die Regierung hatte sich bereit erklärt, auch über Neuwahlen zu verhandeln, für deren Ansetzung die Opposition in den letzten Wochen mehr als zwei Millionen Unterschriften gesammelt hatte.

Sowohl beim harten Kern der Opposition als auch beim radikalen Flügel der Chavistas, der Anhänger Chávez´, stößt diese Suche nach Kompromissen aber auf Widerstand. Während der harte Kern der Oppositionellen nur den Rücktritt des Präsidenten akzeptieren würde, kritisieren die „Revolutionäre Volksversammlung“, die Kommunistische Jugend und andere Organisationen, dass bislang weder die Putschisten vom April noch die Offiziere, die zum Sturz der Regierung aufrufen, zur Verantwortung gezogen wurden. Den Anhängern der Regierung liegen außerdem Informationen vor, wonach ein Großteil der von der Opposition zugunsten von Neuwahlen eingereichten Unterschriften gekauft oder regelrecht gefälscht worden seien.

Nach den blutigen Ereignissen scheint eine friedliche Lösung erneut in weite Ferne gerückt zu sein. Im Regierungslager mehren sich die Stimmen, die jetzt ein hartes Vorgehen gegen die „Putschisten“ favorisieren. Die Opposition ihrerseits hat es abgelehnt, ein Gewaltverzichtsabkommen zu unterzeichnen, solange Soldaten in der Hauptstadt stationiert sind.

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 22. November 2002