Menschenrechte kein Thema

Vierzig Jahre nach Ausrufung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) kämpfen die Sahrauis weiter um die Anerkennung ihrer Souveränität. Marokko hält die Westsahara weiter besetzt und denkt gar nicht daran, die seit 1992 ausstehende Volksabstimmung über den Status des Gebiets durchzuführen. Die seit einem Vierteljahrhundert in dem Gebiet stationierten Blauhelmsoldaten der »UN-Mission für das Referendum in der Westsahara« (Minurso) dürfen nach wie vor nur die 1991 zwischen Rabat und der Befreiungsfront Polisario vereinbarte Waffenruhe überwachen – eine Ausweitung des Mandats auf die Beobachtung der Menschenrechtslage in dem Gebiet wird von Marokkos treuen Freunden nach wie vor blockiert. Zuletzt verlängerte der UN-Sicherheitsrat im April vergangenen Jahres auf Antrag der USA, Frankreichs, Spaniens, Großbritanniens und Russlands das Mandat in seiner bisherigen Form, obwohl besonders die Afrikanische Union und Venezuela – das derzeit Mitglied des Sicherheitsrates ist – eine Ausweitung verlangt hatten.

Die nächste Verlängerung des Mandats steht am 28. April an und werde »unkompliziert« über die Bühne gehen, kündigte der chinesische UN-Botschafter Liu Jieyi vor wenigen Tagen an. Auch diesmal wird es wohl keine Ausweitung des Auftrags geben. »Marokko hat gute und ausgewogene Beziehungen mit den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, und niemand von ihnen legt Wert darauf, Rabat andere Rahmenbedingungen für die Verhandlungen vorzuschreiben«, zitierte das Internetportal Morocco World News den Mitarbeiter einer arabischen UN-Botschaft, der anonym bleiben wollte. »Trotz Ban Ki Moons Versuchen, das Gegenteil zu beweisen, steht die Westsahara auf der Agenda des Sicherheitsrats nicht weit oben.« Der UN-Generalsekretär hatte im März, wenige Tage nach dem 40. Jahrestag der Ausrufung der DARS, sahrauische Flüchtlingslager in Algerien sowie die von der Polisario befreiten Gebiete in der Westsahara besucht und dabei auch offen von einer »Besatzung« gesprochen. Marokko fasste das als Affront auf und verwies aus Protest 84 Minurso-Mitarbeiter des Landes.

Generell kann sich das Königshaus in Rabat aber weiter darauf verlassen, dass seine wirtschaftliche und geostrategische Bedeutung für die EU und die USA viel zu groß ist, als dass diese es auf einen Bruch ankommen lassen würden. Anfang März etwa eilte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nach Marokko, um die dortige Regierung zu besänftigen. Rabat hatte die Beziehungen zu Brüssel auf Eis gelegt, nachdem der Europäische Gerichtshof im Dezember ein Handelsabkommen für ungültig erklärt hatte, weil dies auch das Territorium der Westsahara umfasste. Mogherini versicherte den Besatzern nun, man werde Widerspruch gegen diese Gerichtsentscheidung einlegen.

Auch die deutsche Bundesregierung unterstützt diese Berufung. Das versicherte Innenminister Thomas de Maizière Ende Februar bei einem Besuch in Rabat. Menschenrechtsfragen interessierten den CDU-Politiker bei seiner Visite nicht, denn ihm ging es vor allem darum, abgelehnte Asylbewerber leichter nach Marokko abschieben zu können. Mit Datum vom 6. April reichte das Kabinett dann im Bundestag einen Gesetzentwurf ein, der Marokko, Algerien und Tunesien zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt. In der Begründung versichert die »große Koalition«, man sei »nach sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass in den genannten Staaten gewährleistet erscheint, dass dort generell, systematisch und durchgängig weder Verfolgung noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten sind«.

So erscheint es der Bundesregierung sogar möglich, die Verfolgung der Sah­rauis durch die Besatzer zu ignorieren. In einer am Donnerstag veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag erklärt das Kabinett: »Für marokkanische Staatsangehörige, auch aus Westsahara, würden die Bestimmungen in bezug auf Marokko als sicherer Herkunftsstaat gelten. (…) Die Unterscheidung nach Volkszugehörigkeiten wäre für die Zuordnung zu einem sicheren Herkunftsstaat ohne Belang.« Immerhin aber »hätte auch ein Antragsteller, der die marokkanische Staatsangehörigkeit hat, die Möglichkeit, die Vermutung der Verfolgungsfreiheit zu widerlegen, indem er geltend macht, abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsland ausnahmsweise doch verfolgt zu sein«.

»Abweichend von der allgemeinen Lage ausnahmsweise verfolgt«? Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beschreibt die Lage in Marokko und den besetzten Gebieten so: »Sahrauische politische Aktivisten, Protestierende, Menschenrechtsverteidiger und Medienschaffende sahen sich mit einer Reihe von Einschränkungen in ihren Rechten auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit konfrontiert und wurden häufig festgenommen, gefoltert oder anderweitig misshandelt und strafrechtlich verfolgt. Die Behörden verboten jeglichen Protest und lösten Zusammenkünfte gewaltsam auf, oft auch unter Anwendung exzessiver Gewalt.«

Erst am vergangenen Dienstag brachen 23 politische Gefangene nach 37 Tagen einen Hungerstreik ab, mit dem sie ihre bedingungslose Freilassung erzwingen wollten. Wie Amnesty International informierte, waren sie vor mehr als fünf Jahren bei der gewaltsamen Räumung eines Protestcamps in Gdim Izik festgenommen und 2013 in einem unfairen Verfahren von einem Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt worden. Die Organisation startete am 31. März eine »Urgent Action« und rief dazu auf, von den marokkanischen Behörden per Brief die Freilassung der Gefangenen und ein faires Gerichtsverfahren zu fordern. In der Bundesrepublik würden die Betroffenen jedoch wohl nicht als politisch Verfolgte anerkannt werden.

Erschienen am 9. April 2016 in der Tageszeitung junge Welt