Medienkrieg in Caracas

Am morgigen Sonnabend kommt in Caracas die venezolanische Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung für 2013 zusammen. Zentraler Tagesordnungspunkt ist die Wahl des neuen Parlamentspräsidiums, das bislang von Diosdado Cabello geleitet wird. Ob dieser für eine weitere Amtszeit antritt, wurde noch nicht offiziell bestätigt. Demgegenüber kündigten Vertreter der Opposition an, keinen eigenen Kandidaten für die Sitzungsleitungen benennen zu wollen.

 

Normalerweise findet die sich jährlich wiederholende Prozedur der Parlamentskonstituierung nur mäßiges Interesse unter den Venezolanern. Diesmal jedoch steht auch diese Entscheidung im Zeichen der Erkrankung von Staatschef Hugo Chávez, denn der Parlamentspräsident steht in der offiziellen Hierarchie Venezuelas an dritter Stelle, nach dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten. Für den 10. Januar ist eigentlich die Amtseinführung von Hugo Chávez in seine neue Amtszeit vorgesehen, für die er am 7. Oktober mit klarer Mehrheit wiedergewählt worden war. Was aber, wenn er wegen seines Gesundheitszustandes nicht den Amtseid vor den Parlamentariern ablegen kann? Darüber ist in Venezuela ein heftiger Streit unter den Juristen entbrannt. Die Verfassung des südamerikanischen Landes sieht die Möglichkeit vor, daß Chávez vom Obersten Gerichtshof vereidigt wird – und offen wird diskutiert, ob dies dann auch in Havanna geschehen könnte. Sollte er sein Amt jedoch nicht antreten können, sieht das Grundgesetz innerhalb von dreißig Tagen Neuwahlen vor, die Amtsgeschäfte sollen bis dahin vom Parlamentspräsidenten geführt werden. Bei diesem Passus war die verfassunggebende Versammlung 1999 offensichtlich davon ausgegangen, daß es sich um die erstmalige Vereidigung des Staatschefs handelt, der deshalb noch keinen Stellvertreter ernennen konnte. Hingegen soll, wenn der Präsident »während der ersten vier Jahre« dauerhaft aus dem Amt scheidet, dem Gesetz zufolge der Vizepräsident das Amt bis zu den Neuwahlen übernehmen.

Parlamentspräsident ist bislang Diosdado Cabello, Vizepräsident Nicolás Maduro. Beide weisen jeden Gedanken daran, in Konkurrenz zueinander zu stehen, zurück. »Weder die venezolanische Opposition noch ihre Chefs im Ausland werden es mit dem unerschütterlichen Willen zur revolutionären Einheit aufnehmen können«, schrieb etwa Cabello im Internetdienst Twitter. Trotzdem wird im Internet und in den oppositionellen Medien eifrig versucht, die unklare Gesetzeslage für eine Spaltung des »Chavismus ohne Chávez« zu nutzen. Das Oppositionsbündnis MUD erklärte am Mittwoch (Ortszeit), am 10. Januar beginne eine neue Amtszeit, deshalb könne es keine »Kontinuität« der bisherigen Regierung geben. Das Regierungslager weist das zurück. »Chávez ist kein gewählter Kandidat, sondern ein wiedergewählter Präsident«, kommentierte etwa das linke Internetportal La Iguana. Hintergrund solcher Diskussionen ist natürlich, daß in dem Fall, daß es tatsächlich zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, Maduro – dessen Kandidatur nach dem entsprechenden Votum von Chávez im Dezember unumstritten ist – als geschäftsführender Präsident natürlich mehr Möglichkeiten zur Profilierung hätte, als wenn diese Funktion Cabello ausüben würde.

Am Donnerstag berichtete das Oppositionsblatt El Universal unter Berufung auf einen Artikel in der brasilianischen Tageszeitung Folha de São Paulo, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff bereite eine »Aktion« vor, um für »Stabilität beim demokratischen Übergang« in Venezuela zu sorgen. Speziell gehe es Rousseff darum, einen – von niemandem sonst ins Gespräch gebrachten – »Wahlboykott durch Vertreter des Chavismus« zu verhindern, schreibt Kennedy Alencar unter Berufung auf nicht nachprüfbare »vertrauliche Quellen«.

In Washington lieferte das ­State Department den venezolanischen Regierungsgegnern die gewünschten Stichwörter. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, forderte am Mittwoch (Ortszeit) bei der täglichen Pressekonferenz »vollständig transparente, demokratische, freie und faire Wahlen« im Rahmen einer »Transition«, falls Chávez sein Amt nicht mehr ausüben könne.

Die jüngsten Meldungen über den konkreten Gesundheitszustand des Präsidenten kamen am Mittwoch abend von Venezuelas Wissenschaftsminister Jorge Arreaza, der in Havanna ausharrt, seit Chávez sich am 11. Dezember der erneuten Krebsoperation unterzogen hat. »Comandante Chávez kämpft weiter hart und sendet seine Liebe unserem Volk. Beharrlichkeit und Geduld!« schrieb Arreaza über Twitter. »Die Ärzte haben uns gesagt, daß Präsident Chávez im Rahmen des heiklen Gesamtbildes weiter stabil ist.«

Erschienen am 4. Januar 2013 in der Tageszeitung junge Welt und am 7. Januar 2013 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek