Maulkorb für TV3

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy war irritiert. Nachdem er sich am vergangenen Freitag in Brüssel die Rückendeckung der anderen EU-Regierungschefs für sein Vorgehen in Katalonien geholt hatte, stellte er sich der Presse. Eine Journalistin fragte ihn, wie er die von seiner Regierung geplante Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien Kataloniens rechtfertige. Rajoy zeigte sich unwissend: »Woher haben Sie das?« Die Antwort: »Von ihrem Regierungssprecher.«

Der Ministerpräsident war offenkundig überrumpelt. Dabei hatte sein Sprecher Íñigo Méndez de Vigo am Vorabend gegenüber Journalisten in Madrid ausgeplaudert, was die Aktivierung des Verfassungsartikels 155 bedeuten soll. Dieser legt fest, dass in dem Falle, dass eine Autonome Gemeinschaft »nicht die ihr von der Verfassung und anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen erfüllt oder in einer Weise agiert, die schwerwiegend gegen das allgemeine Interesse Spaniens verstößt«, von der Zentralregierung zu einer Verhaltensänderung gezwungen werden kann. Madrid interpretiert diese Vollmacht – die voraussichtlich am Freitag vom Senat mit absoluter Mehrheit bestätigt werden muss – als Freibrief, die Autonomie Kataloniens vollständig aufzuheben.

Rajoy bestätigte am Sonnabend, was er am Freitag noch abgestritten hatte: Die Regionalregierung um den katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont soll abgesetzt werden. Madrid will die Kontrolle praktisch aller Institutionen der Region übernehmen. Das Parlament Kataloniens soll zwar weiter tagen dürfen, aber Madrid behält sich ein Vetorecht gegen alle Beschlüsse vor. Und auch die Medien der Generalitat, der katalanischen Regionalverwaltung, sollen kontrolliert werden, »um die Verbreitung wahrheitsgetreuer, objektiver und ausgewogener Informationen zu garantieren, die den politischen, sozialen und kulturellen Pluralismus sowie das territoriale Gleichgewicht und die Kenntnis und den Respekt für die in der spanischen Verfassung und dem Autonomiestatut Kataloniens enthaltenen Werte und Prinzipien respektieren«.

Die öffentlich-rechtliche katalanische Mediengesellschaft CCMA betreibt derzeit vier Radio- und fünf Fernsehprogramme, unter anderem einen Sport- und einen Kinderkanal. Flaggschiffe sind Catalunya Ràdio und TV3, die 1983 ihren Sendebetrieb aufnahmen, wenige Jahre nach der Wiederherstellung der katalanischen Selbstverwaltung und der Verabschiedung des Autonomiestatuts 1979. In den vergangenen Wochen wurden in TV3 und im Nachrichtenkanal 3/24 nicht nur die Demonstrationen der Unabhängigkeitsbewegung und Reden der Regionalregierung ausgestrahlt, sondern zum Beispiel auch die Ansprachen von König Felipe VI. und Ministerpräsident Rajoy. Liveübertragungen gab es auch von den Aktionen der Gegner einer Abspaltung.

Vor diesem Hintergrund hat die Vertretung der Journalisten von Catalunya Ràdio bereits am vergangenen Sonntag die Ankündigung der Zentralregierung als eine »Beleidigung der Professionalität« aller bei dem Sender tätigen Kollegen zurückgewiesen. »Wir haben immer in Freiheit gearbeitet, und wenn bei einer Gelegenheit irgendeine Anomalie festgestellt wurde, wurde sie umgehend beseitigt,« heißt es in der Erklärung. Die Beschäftigten der CCMA kündigten an, sich keinem von Madrid eingesetzten Direktor unterstellen zu wollen. Man werde auch weiterhin nur eine Führung akzeptieren, die von der Administration der CCMA vorgeschlagen und vom katalanischen Parlament bestätigt wurde.

Die Sorge der Journalisten von Catalunya Ràdio und ihrer Kollegen ist berechtigt, denn die von der spanischen Zentralregierung kontrollierten Sender haben sich bislang nicht durch eine professionelle Berichterstattung über die Entwicklungen in Katalonien ausgezeichnet. So beschwerte sich die Journalistenvertretung von Radio Nacional de España (RNE) darüber, dass es dort kaum eine Berichterstattung über das am 1. Oktober in Katalonien durchgeführte Referendum gab. Ihre Kollegen vom spanischen Fernsehen TVE veröffentlichten in dieser Woche sogar eine 72 Seiten starke Dokumentation über die manipulative Berichterstattung ihrer Anstalt. So sei am 1. Oktober in den Fernsehnachrichten einseitig die Interpretation der spanischen Zentralregierung übernommen worden, es habe »kein Referendum« gegeben. Es wurden verwackelte Aufnahmen gezeigt, die offenkundig mit einem Mobiltelefon aufgenommen worden waren, und dazu gesagt, dass »einige Menschen abgestimmt« hätten. Zudem wurden dem Sprecher der katalanischen Regionalregierung, Jordi Turull, in den Untertiteln verfälschte Aussagen in den Mund gelegt. Die Journalisten von TVE fordern deshalb den Rücktritt des für die Informationsprogramme zuständigen Direktors, José Antonio Álvarez Gundín, und der gesamten Führung des Senders.

Die Auseinandersetzung um die autonomen katalanischen Sender ist für viele Menschen auch ein Kampf um die Demokratie. Unter der Franco-Diktatur hatte es keine Sendungen in katalanischer Sprache gegeben. Erst 1976, wenige Monate nach dem Tod des Machthabers, führte das staatliche RNE ein solches Programm ein. Dieses Ràdio 4 sendet übrigens bis heute – allerdings nur in Katalonien, nicht aber in Valencia und auf den Balearen, wo ebenfalls Katalanisch gesprochen wird. Daneben sind in Katalonien natürlich auch die anderen vier Programme von RNE zu empfangen. Die fünf Kanäle des staatlichen Fernsehens TVE sind in Katalonien ebenfalls zu sehen.

Erschienen am 26. Oktober 2017 in der Tageszeitung junge Welt