Massenhafter Boykott

Fast auf den Tag genau fünf Monate nach dem gewaltsamen Sturz des rechtmäßigen Präsidenten Manuel Zelaya waren 4,2 Millionen Honduraner am Sonntag aufgerufen, den künftigen Präsidenten, die Abgeordneten des Kongresses sowie die Bürgermeister in den Städten zu wählen. Doch die Abstimmung wurde vom wochenlangen Belagerungszustand, willkürlichen Verhaftungen, Morden an Aktivisten der Widerstandsbewegung und der Schließung von Rundfunk- und Fernsehstationen überschattet. Der unabhängige Präsidentschaftskandidat Carlos H. Reyes sowie zahlreiche Vertreter der Liberalen Partei, der sozialdemokratischen PINU und der linken UD hatten ihre Kandidaturen zurückgezogen, um sich dieser Farce nicht zu unterwerfen.

Am Wahltag selbst kontrollierten Zehntausende Soldaten, Polizisten und Paramilitärs die Städte, um Proteste im Keim zu ersticken. In der zweitgrößten Stadt des Landes, San Pedro Sula, ging die Polizei mit Tränengas und einem Wasserwerfer gegen Demonstranten vor. In der Hauptstadt Tegucigalpa wurde ein Mensch durch Schüsse der Soldaten getötet, informierte der Präsident des honduranischen Menschenrechtskomitees CODEH, Andrés Pavón. Den seiner Organisation vorliegenden Informationen zufolge wurden 83 Personen verhaftet, von denen 22 am Montag noch nicht freigelassen worden waren. Der jüngste der Verhafteten sei gerade einmal zwölf Jahre alt und festgenommen worden, weil er ein T-Shirt mit der Forderung nach der »vierten Urne« getragen hatte. Der am 28. Juni gestürzte Präsident Zelaya hatte ursprünglich parallel zu den Wahlen vom Sonntag eine vierte Abstimmung durchführen wollen, bei der über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung entschieden werden sollte. Dieses Vorhaben diente den Putschisten als Vorwand für ihren Staatsstreich.

Eine inoffizielle Beobachtung des Wahlverlaufs durch das CODEH ergab außerdem, daß die vom Wahlgerichtshof TSE genannten Zahlen von bis zu 60 Prozent Beteiligung geschönt seien. Die reale Wahlbeteiligung habe nur bei 21,5 Prozent gelegen, so Pavón, der außerdem forderte: »Das Ergebnis dieses Wahlprozesses darf von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt werden.« Die Farce habe nur dazu dienen sollen, »einer neuen Regierung Legitimität zu verschaffen und zu versuchen, die Putschisten reinzuwaschen.«

Auch Zelaya, über dessen Wiedereinsetzung in das Präsidentenamt der Kongreß nun am Mittwoch abstimmen will, forderte die Annullierung der Wahl und ihre Wiederholung unter demokratischen Bedingungen.

Zum offiziellen Wahlsieger wurde vom TSE der Kandidat der Nationalen Partei, Porfirio Lobo, erklärt, der demnach auf gut 57 Prozent der Stimmen kam. Weit abgeschlagen folgte der Vertreter der Liberalen Partei, Elvin Santos, mit gerade einmal 33 Prozent. Somit haben sich die Liberalen, aus deren Reihen sowohl der gestürzte Präsident Manuel Zelaya als auch »Übergangspräsident« Roberto Micheletti stammen, selbst aus der Regierung geputscht. Vor dem Sturz Zelayas hatte ein Sieg Santos’ als ausgemachte Sache gegolten. Obwohl er den politischen Linksschwenk Zelayas kritisiert und eine Rückkehr zur traditionellen, rechten Politik honduranischer Regierungen angekündigt hatte, schien es so, als ob er von der ungebrochenen Popularität des Präsidenten profitieren könnte. Nach dem Putsch spaltete sich die Partei jedoch in Gegner und Unterstützer des Staatsstreichs.

Auch international kam es zu Protesten gegen die Wahlfarce in Honduras. In Berlin demonstrierten einige hundert Menschen gegen die Putschisten und deren Unterstützung durch die deutsche FDP. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Wolfgang Gehrke, forderte die Bundesregierung auf, die »illegale« Wahl in Honduras nicht anzuerkennen. Auch zahlreiche Regierungen Lateinamerikas, darunter die von Brasilien und Venezuela, akzeptierten die Abstimmung nicht. Am Freitag will die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erneut über die Lage in Honduras beraten.

Erschienen am 1. Dezember 2009 in der Tageszeitung junge Welt