Marxistinnen »oben ohne«

Am 22. April eröffnete die Nationale Front (FN) in Paris ihren Wahlkampf für das Europaparlament. Ungestört blieben die französischen Neofaschisten dabei nicht: 23 junge Frauen störten lautstark die Veranstaltung. Die Aktivistinnen von Femen hatten sich Hitlerbärtchen unter die Nase und eine veränderte Version der EU-Flagge auf den nackten Oberkörper gemalt: Die gelben Sterne auf blauem Grund bildeten nun keinen Kreis mehr, sondern ein Hakenkreuz. In schwarzer Schrift warnten sie vor der »faschistischen Seuche«, die sich breitmache: »Wir werden nicht zulassen, daß Europa zu einer faschistischen Union wird!« Die Kiewer Nachrichtenagentur Ukrinform interpretierte die Aktion auf ihre Weise: Die Frauen hätten dagegen protestiert, daß die FN die »Annexion der Krim« durch Rußland unterstützt habe.

 

Das zeigt das Dilemma der Aktionen von Femen. Bekannt geworden ist die von vier Ukrainerinnen gegründete Gruppe durch ihre vom Boulevard gern aufgegriffenen Provokationen: Mit nacktem Oberkörper protestieren sie gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen, gegen die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin, gegen Neofaschisten, gegen die Doppelmoral der Kirchen. Auf ihrer Homepage veröffentlichen sie regelmäßig ausführliche Begründungen für die Aktionen – beachtet werden diese nur selten. Den Blättern mit den großen Buchstaben reichen die Oben-Ohne-Fotos, Inhalte stören nur. So erreichen die Femen durch ihre Aktionsform zwar öffentliche Aufmerksamkeit – schaffen es aber selten, ihre Argumente zu transportieren.

Dem versucht ein Buch entgegenzuwirken, das es bislang nur in französischer, englischer und spanischer Sprache gibt. In »Femen« hat Galia Ackerman die Berichte der vier Gründerinnen der Gruppe – Anna Huzol, Inna Schewtschenko, Oksana Schatschko und Alexandra (Sascha) Schewtschenko – aufgeschrieben. Sie zu lesen lohnt sich, schon weil sie auch einen Einblick in die Realitäten der Ukraine nach der Zerschlagung der Sowjetunion geben. Die jungen Frauen, die in den 1990er und 2000er Jahren mit Begeisterung und gegen den allgemeinen Trend in ihrem Heimatland Karl Marx und August Bebel lasen, widersetzten sich der vorherrschenden Negativpropaganda über die Sowjetunion. Sie hatten selbst erlebt, wie die »Perestroika« ihre Familien zerstörte, weil die Eltern Arbeit und Lebensperspektive verloren. Und sie zogen auch eine negative Bilanz der »Orangen Revolution« von 2004, die sie ursprünglich begeistert unterstützt hatten. Doch speziell von Julia Timoschenko sind sie heute bitter enttäuscht. Das dürfte auch ein Grund dafür gewesen sein, daß sich die Femen aus den Maidan-Protesten der vergangenen Monate weitgehend heraushielten, obwohl sie für den im Februar gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch nichts übrighatten. Die einzige Meinungsäußerung war eine kleine »Fuck Putin«-Fotokampagne gegen die Abspaltung der Krim von der Ukraine.

Doch das Buch bleibt leider weitgehend an der Oberfläche der politischen Positionen von Femen hängen. Zwar nennen sich die vier Frauen Marxistinnen und beschreiben stolz, wie Bebels »Die Frau und der Sozialismus« zu ihrer »Bibel« wurde. Zugleich freuen sie sich recht naiv darüber, daß Oligarchen und Unternehmer ihnen Spenden zukommen lassen. Welches Interesse diese daran haben, bleibt unhinterfragt. Und auch die Tatsache, daß das kapitalistische System zumindest eine Ursache der Frauenunterdrückung ist, kommt in dem Buch nicht vor. Beides mag auch dem Eingreifen von Ackerman geschuldet sein, die in ihrer Einleitung ausdrücklich betont, mit Marxismus nichts am Hut zu haben. Doch Femen selbst steht hinter dem Buch – sonst würde es wohl kaum mit den Autogrammen der Gründerinnen in deren Onlineshop verkauft.

Femen with Galia Ackerman: FEMEN. Polity Press UK, Cambridge 2014, 187 S., 15,10 Euro (Paperback-Ausgabe); www.politybooks.com

Erschienen am 2. Mai 2014 in der Tageszeitung junge Welt