»Man muss mit uns rechnen«

Im brandenburgischen Brieselang haben am Mittwoch Beschäftigte des Onlineversandhändlers Zalando die Arbeit niedergelegt. Rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Spätschicht nahmen an dem Warnstreik teil. Wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mitteilte, geht es um die Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrags, der sich auf die Branchenregelungen für den Einzel- und Versandhandel in Brandenburg bezieht. Außerdem verlangen die Gewerkschafter Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, zur Standortsicherheit und zum Verzicht auf sachgrundlose Befristungen. Insgesamt arbeiten rund 1.250 Personen bei Zalando in Brieselang, nach Angaben von ver.di sind jedoch bis zu 40 Prozent der Beschäftigten über befristete Arbeitsverträge angestellt.

»Das Unternehmen bietet uns nur einen internen Vertrag an, der sich in keiner Weise von den jetzigen Gegebenheiten unterscheidet«, berichtete Reiner Brandt am Mittwoch im Gespräch mit junge Welt. Der Betriebsrat ist seit 2012 bei Zalando beschäftigt. »Das Angebot des Unternehmens würde sogar eine Verschlechterung gegenüber den derzeitigen Arbeitsbedingungen bedeuten«, so Brandt.

Nach Angaben von ver.di erhalten die Beschäftigten im Lager von Zalando nur 10,12 Euro Stundenlohn. Damit seien die Entgelte deutlich geringer als jene der Kolleginnen und Kollegen, die nach dem Tarifvertrag des Einzel- und Versandhandels bezahlt werden. Zudem erhielten die Zalando-Beschäftigten zwei Tage weniger Urlaub, nur ein Drittel der Urlaubs- und Weihnachtszuwendung sowie deutlich geringere Zuschläge z. B. für Nacht- oder Feiertagsarbeit.

Auf Nachfrage von jW am Donnerstag bestätigte Zalando das Lohnniveau. »In der Zalando-Logistik Brieselang geht es um Tätigkeiten, wie sie im Logistiktarifvertrag definiert sind, der Tarifvertrag für den Einzelhandel passt daher aus unserer Sicht nicht«, so Unternehmenssprecherin Nadine Przybilski. Der von Zalando vorgelegte »Zukunftstarifvertrag« würde zudem den Standort Brieselang bis 2019 sichern. Auch zur Absicht, die Belegschaft genauer zu überwachen – jW berichtete darüber am Mittwoch –, äußerte sich das Unternehmen: »Wir planen, künftig mit einer zertifizierten Software zu arbeiten, die den Namen, das Geburtsdatum und die Adresse des Mitarbeiters mit den behördlichen Terrorlisten abgleicht.«

Die Gewerkschaft ver.di verwies hingegen in einer Pressemitteilung vom Mittwoch auf den eigentlichen Geschäftszweck des Unternehmens: »Zalando verkauft seine Ware an die Endkunden. Damit ist Zalando ein (Online-)Versandhändler, der im unmittelbaren Wettbewerb mit dem stationären Einzelhandel steht.« Gefordert seien deshalb Vergütungen von mindestens 11,71 Euro pro Stunde bzw. monatlich 1.932 Euro. Für die Beschäftigten mit den geringsten Bezügen würde das bedeuten, dass sie im Jahr rund 3.500 Euro mehr nach Hause bringen könnten.

»Wir haben ein Ziel vor den Augen, und das werden wir nie aus den Augen verlieren. Die Geschäftsleitung muss immer mit uns rechnen, wir sind immer am Start«, zeigt sich Brandt gegenüber jW kampfbereit. Der Ausstand, zu dem ver.di die Spätschicht in Brieselang am Mittwoch aufgerufen hat, hat ihm Mut gemacht: »Wir haben den Streik am Vortag sehr kurzfristig vorbereitet, und dafür ist der Streik wirklich hervorragend verlaufen. Die Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen war außergewöhnlich hoch. Wir als Betriebsräte haben selbst gar nicht damit gerechnet, dass uns die Mitarbeiter so sehr unterstützen und wir solch einen Rückhalt finden würden.« Auf die Frage, ob er damit rechne, dass sich die Auseinandersetzung bei Zalando ähnlich lange hinziehen werde wie bei Amazon oder ob er die Hoffnung habe, dass man sich schneller einigen wird, sagte er: »Ohne Hoffnung ist kein Leben möglich, und wir gehen sehr optimistisch an die Sache heran. Wir warten ab, aber wir werden nicht für immer warten.«

Solidarische Unterstützung erfuhren die Beschäftigten von Zalando am Mittwoch durch Kollegen aus aller Welt. Am Rande einer internationalen Konferenz von Gewerkschaften aus dem Handel in Berlin, an der Delegationen aus Nord- und Südamerika, Asien und Europa teilnahmen, informierte Brandt zusammen mit zwei Kollegen über den Streiktag – und freute sich über den Beifall der in der ver.di-Zentrale versammelten Arbeitervertreter.

Erschienen am 16. Juni 2017 in der Tageszeitung junge Welt