Maduros Säbel

Die Boulevardpresse ist begeistert von Venezuelas neuer Sportministerin, und selbst der oppositionelle Fernsehsender Globovisión, der sonst kein gutes Haar an der Regierung des südamerikanischen Landes läßt, veröffentlichte auf seiner Homepage eine Fotoserie über die Politikerin. Alejandra Benítez ist die wohl erfolgreichste Fechterin ihres Landes, 2005 wurde sie in Havanna Weltmeisterin, 2008 konnte sie in Koblenz die Bronzemedaille gewinnen. Dreimal vertrat sie ihr Land bei Olympischen Spielen: 2004 in Athen, 2008 in Peking und 2012 in London. Ein Medaillengewinn blieb ihr dort versagt, was ihrer Popularität in Venezuela jedoch keinen Abbruch tat. Am vergangenen Sonntag wurde sie von Präsident Nicolás Maduro in dessen Kabinett berufen.

 

Ihre sportlichen Erfolge sind für die meisten Medien in diesen Tagen jedoch ebenso Nebensache wie die politische Orientierung der 32jährigen, die seit vergangenem Jahr als Nachrückerin der sozialistischen Fraktion im venezolanischen Parlament angehört und einen Studienabschluß in Zahnmedizin und politischer Wissenschaft hat. In einen Zustand heftiger Erregung versetzte die spanische ABC, die argentinische Clarín, aber auch die chinesische People’s Daily vielmehr die Tatsache, daß es von der Sportlerin und Politikerin auch Fotos gibt, auf denen sie recht leicht bekleidet zu sehen ist. Die Revista Dominical, Sonntagsbeilage der Tageszeitung Últimas Noticias, hatte 2008 aus Anlaß eines Blattjubiläums die Fotoserie »Das Land zieht sich aus« veröffentlicht. Neben Benítez entblätterten sich damals unter anderem der Flötenspieler Huáscar Barradas oder der Architekt William Niño. »Die Idee war, Venezuela zu zeigen, wie es ist, mit der Ehrlichkeit, die der Nacktheit eigen ist, einem mutigen Bekenntnis, daß unsere Schönheit und, warum auch nicht, unsere nicht so perfekten Seiten dem Blick und dem Urteil des Anderen aussetzt,« schrieb die Zeitschrift damals (Online: Hier klicken).

Die venezolanischen Sportler freuen sich hingegen, daß nun eine der ihren für den Sport zuständig ist. So sagte der Triathlet Fausto Castillo dem staatlichen Fernsehen VTV, Benítez repräsentiere »die Essenz dessen, was wir vom Sportministerium erwarten«. Sie werde die besondere Bedürfnisse der Sportler verstehen und erfüllen können, so Castillo.

Die neue Ministerin selbst will ihre politische wie ihre sportliche Karriere angehen: »Ich übernehme diese neue Rolle wie wenn es eine Qualifikation für die Olympischen Spiele wäre«, sagte sie der Tageszeitung Correo del Orinoco. Von dem Medienrummel zeigte sie sich unbeeindruckt: »Ich bin ein ganz normales Mädchen. Ich gehöre zu denen, die zu Fuß gehen, wie wir sagen, und die weiß, wie ein Athlet lebt. Mir kann keiner irgendwelche Märchen über das Leben und die Arbeit eines Sportlers erzählen, den ich selbst habe alle Facetten dieses Lebens durchgemacht.«  Deshalb wolle sie zum Wohl aller Sportlerinnen und Sportler des Landes arbeiten.

Konzentrieren will sie sich aber nicht nur auf die Profis: »Wir werden mit der gleichen Intensität für den Breitensport arbeiten. Ich habe meine Compañeros gebeten, mir dabei zu helfen, damit sie sich als Teil dieses schönen Projektes fühlen.« Man wolle nicht nur Sportplätze instandsetzen oder neu errichten, sondern die Anwohner einbeziehen, damit sie die neuen Räume nutzen. »Wenn man in einer Gemeinde einen Sportplatz baut oder instandsetzt, muß man dort ein Programm zur Sportentwicklung hinterlassen. Die Menschen brauchen nur etwas, daß sie anregt, damit sie körperlich aktiv werden.«

In der Hauptstadt Caracas haben die Behörden diese Idee schon aufgegriffen. Seit einigen Monaten tauchen an vielen Ecken dieses ansonsten grauen Molochs bunte Sportgeräte auf, die etwa auf dem Boulevard Sabana Grande, aber auch am Rande des armen Stadtteils San Agustín erreichtet wurden. Bunt gestrichene Crosstrainer, Reckstangen und andere Geräte laden die Passanten zu einer kleinen sportlichen Pause ein. Und tatsächlich werden sie genutzt. Ein älterer Mann in San Agustín berichtete jW, daß er praktisch jeden Vormittag hier sein Training absolviere, um seine Gelenke in Form zu halten. Eine Mitgliedschaft in einem Fitneßclub, von denen es in Caracas auch einige gibt, könne er sich nicht leisten. Außerdem schreibe ihm hier niemand vor, wann er wie lange zu trainieren habe.

Am vergangenen Sonntag weihte die Regierungschefin des Hauptstadtdistrikts, Jacqueline Faria, in Caricuao im Südwesten von Caracas einen für umgerechnet 110000 Euro frisch renovierten Sportplatz ein, der zehn Jahre lang dem Verfall preisgegeben war: »Er hatte keine Wände oder Umzäunung und keine Beleuchtung. Jetzt aber haben wir einen Platz für den Frieden«, verkündete Faria stolz. Die neue Einrichtung solle dazu beitragen, die Entfremdung zurückzudrängen, die »durch Drogen und Videospiele« in der Gesellschaft entstünden.

Erschienen am 26. April 2013 in der Tageszeitung junge Welt