Madrid will alles

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat am Mittwoch abend (Ortszeit) vor der UN-Vollversammlung in New York erneut eine Rückgabe Gibraltars gefordert. Die seit 300 Jahren andauernde Herrschaft der Briten über den »Affenfelsen« sei ein Anachronismus, der bis heute Probleme bereite. »Spanien wiederholt einmal mehr seinen Aufruf an das Vereinigte Königreich, den bilateralen Dialog und die regionale Kooperation wiederaufzunehmen«, erklärte der Regierungschef.

 

Die Kontrolle Londons über Gibraltar geht auf den »Frieden von Utrecht« zurück, der 1713 den Spanischen Erbfolgekrieg beendete. In diesem Abkommen zwischen den europäischen Großmächten hatte das Königshaus der Bourbonen das seit 1704 von den Engländern besetzte Gebiet an London abgetreten. Seither wiederholt Spanien immer wieder seine Ansprüche auf die Kronkolonie. Der Vertrag von Utrecht sicherte Madrid aber auch die Herrschaft über Katalonien, das bis dahin seine weitgehende Eigenständigkeit hatte bewahren können. Nach einer monatelangen Belagerung durch spanische und französische Truppen wurde Barcelona am 11. September 1714 unterworfen, die quasistaatlichen Strukturen Kataloniens wurden aufgelöst.

300 Jahre danach fordert eine Mehrheit der Menschen in der Autonomen Region die Unabhängigkeit. »Katalonien empfindet Zuneigung, Liebe für Spanien, aber es vertraut dem spanischen Staat nicht mehr«, erklärte der katalanische Regierungschef Artur Mas am Mittwoch abend während einer Debatte im katalanischen Parlament. Er kritisierte, daß Madrid Gespräche verweigert. Rajoy hatte wiederholt erklärt, eine Loslösung der Autonomen Region von Spanien verletze die Verfassung, die eine »Unteilbarkeit« des Königreichs festschreibe. Verhandlungen könne es deshalb nur »im Rahmen des geltenden Rechts« geben.

Diese Verweigerungshaltung könne zu vorgezogenen Neuwahlen führen, die dann als Plebiszit durchgeführt würden, warnte Mas. Auf diese könnte dann die einseitige Unabhängigkeitserklärung durch das katalanische Parlament folgen. Andere Optionen wie einen von sozialdemokratischen Politikern favorisierten »dritten Weg« – etwa durch eine Föderalisierung Spaniens – schloß er aus. Ein Verbleib Kataloniens innerhalb des spanischen Staates »im Stil der vergangenen hundert Jahre« sei unmöglich, das hätten auch die fruchtlosen Auseinandersetzungen um das neue Autonomiestatut deutlich gemacht. 2006 hatten die Katalanen und das spanische Parlament ein neues Statut verabschiedet, das weit hinter den Hoffnungen Kataloniens zurückgeblieben war. Trotzdem hatte die rechte Volkspartei PP vor dem spanischen Verfassungsgericht geklagt, das 2010 entscheidende Passagen verwarf. Dieser Eklat führte letztlich dazu, daß die Unabhängigkeits- zur Massen­bewegung wurde.

Mas würde ein mit Madrid abgestimmtes Verfahren bevorzugen. Allerdings beharrt er darauf, daß es im kommenden Jahr – wenn sich die Niederlage Kataloniens zum 300. Mal jährt – zu einer Entscheidung über die Souveränität kommen müsse. Bis Ende 2013 würden das Datum eines Referendums, dessen genaue Fragestellung sowie der rechtliche Rahmen festgelegt. Mit dieser Ankündigung entsprach Mas den Forderungen der Republikanischen Linken (ERC), auf deren Stimmen er im Parlament angewiesen ist und die mit Empörung auf Gedankenspiele des Regierungschefs reagiert hatte, eine Entscheidung auf den regulären Wahltermin 2016 zu verschieben.

Spekuliert wird in Barcelona, wann die ERC offiziell in eine Regierungskoalition mit Mas’ konservativer Parteienallianz CiU (Convergència i Unió) eintritt. Bislang hatte der Chef der sozialdemokratisch orientierten und auf Unabhängigkeit setzenden Partei, Oriol Junqueras, eine direkte Beteiligung mit Verweis auf die Kürzungspolitik des Kabinetts verweigert und sich auf eine Tolerierung beschränkt. Nachdem Mas nun jedoch angekündigt hat, im Haushalt 2014 keine neuen Streichungen vornehmen zu wollen, wird in Barcelona ein Kurswechsel der ERC erwartet. In seiner Parlamentsrede forderte Junqueras am Donnerstag, der neue Haushalt müsse der »sozial gerechteste Etat der letzten Jahre und Jahrzehnte« werden. Die Ausgaben für Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Dienstleistungen müßten höher ausfallen als je zuvor.

Erschienen am 27. September 2013 in der Tageszeitung junge Welt