Madonna am Eingang

Wirklich schön ist Lima nicht. In der peruanischen Hauptstadt leben knapp neun Millionen Menschen, fast jeder dritte Bürger des südamerikanischen Landes. Um von einem Ende der Metropole zum anderen zu fahren, muss man stellenweise 100 Kilometer bewältigen. Die sozialen Probleme sind nach wie vor riesig, etwa eine Million Menschen haben noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Zugleich schießen die Preise für Wohnraum und Lebensmittel in die Höhe und haben oft schon europäisches Niveau erreicht. Für Menschen, die nur den gesetzlichen Mindestlohn von umgerechnet 225 Euro im Monat verdienen, ist sie kaum erschwinglich. Für viele andere, die keine feste Arbeit haben, sind die Angebote in den großen Einkaufszentren nicht mehr als ein ferner Traum.

In den Malls ist davon jedoch nichts zu spüren. Wer den Supermarkt »Wong« an der Plaza Agustín Gutiérrez im Stadtviertel Miraflores betritt, wird von einem Madonnenbild begrüßt. Frische Blumen stehen in einer Vase vor der Heiligen, die von den neuesten Sonderangeboten umrahmt wird. In der Kaufhalle mit ihren vielen Abteilungen fällt sogar am Sonntag die große Zahl von Angestellten auf, die den Boden wischen, Angebote anpreisen oder eine der 19 geöffneten Kassen bedienen. Ihre Arbeitszeit beträgt acht Stunden am Tag, zuzüglich einer Stunde Pause. Das allerdings hat die Geschäftsführung erst vor wenigen Tagen per E-Mail an die Mitarbeiter angeordnet, wie Antonio Guevara im Gespräch mit junge Welt berichtet. Der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaft Sutragrucep wertet das als einen wichtigen Erfolg. »Bisher waren Schichten von elf oder zwölf Stunden die Regel«, so Guevara.

»Wong« gehört zum chilenischen Handelsriesen Cencosud. Seit der Konzern des deutschen Großkapitalisten Horst Paulmann die peruanischen Supermärkte 2007 kaufte, wurde die Situation für die Beschäftigten immer unerträglicher. Lohnerhöhungen habe es über Jahre hinweg nur für Manager und Abteilungsleiter gegeben, während die Angestellten leer ausgingen, so Guevara. Deshalb habe man sich 2013 entschlossen, eine Gewerkschaft zu gründen. 33 Beschäftigte waren es zu Beginn, von denen fünf von der Konzernleitung mit lukrativen Posten gekauft wurden. »Auch mir hat man alle möglichen Angebote gemacht, ich sollte mehr Lohn und eine höhere Stellung bekommen oder Sportangebote wahrnehmen können. Ich habe aber verlangt, dass nicht nur ich solche Angebote erhalte, sondern dass alle diese bekommen müssen. Ich lasse mich nicht kaufen«, berichtet Guevara sichtlich stolz. Inzwischen zählt seine Gewerkschaft 430 Mitglieder – immer noch wenige in einem Konzern mit rund 10.000 Angestellten. Doch der Druck zahlt sich aus. »Sie erfüllen nach und nach unsere Forderungen, aber sie weigern sich, diese Leistungen vertraglich festzuhalten«, so Guevara. Damit wolle der Konzern verhindern, dass die Gewerkschaft auf ihre Erfolge verweisen kann.

Neben Zugeständnissen greift Cencosud jedoch auch zu repressiven Maßnahmen. Offenkundig auf Druck des Konzerns wurde im März der deutsche Gewerkschafter Orhan Akman aus Peru ausgewiesen. Als Beauftragter der internationalen Dienstleistungsgewerkschaft UNI Global Union hatte er die Beschäftigten von Cencosud beim Aufbau ihrer Gewerkschaft unterstützt. Als die Beschäftigten im vergangenen Herbst für einen Tarifvertrag streikten, war Akman dabei und sprach vor dem »Wong«-Supermarkt mit der Madonna am Eingang zu den Kollegen. Daraus machten die peruanischen Behörden eine »Störung der öffentlichen Ordnung« und verbaten dem Gewerkschafter »für immer« die Wiedereinreise. Ende Juli dann ein Kurswechsel: Die Ausweisung wurde aufgehoben. Akman arbeitet inzwischen wieder in Lima. Am Sonntag begrüßte er zusammen mit Kollegen der Sutragrucep eine Gewerkschaftsdelegation mit ver.di- und GEW-Mitgliedern aus Deutschland, die sich auch als Reaktion auf die Ausweisung Akmans über die Lage in Peru informieren wollen.

Erschienen am 11. August 2016 in der Tageszeitung junge Welt