Macron verspricht jedem etwas

Die Inszenierung war herrschaftlich, das Echo blieb zurückhaltend: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Donnerstag abend seine mit Spannung erwartete Rede zum Abschluss der von ihm initiierten »Großen Debatte« gehalten. In deren Verlauf hatte Macron oft stundenlang in Turnhallen und Gemeindehallen mit Bürgermeistern, Schülern oder Verbandsvertretern diskutiert. Bürger konnten sich im Internet, bei Versammlungen oder in Beschwerdebüchern äußern. Nach Regierungsangaben sollen sich rund 1,5 Millionen Menschen daran beteiligt haben. Nun sprach der Staatschef rund eine Stunde lang, dann stellte er sich im Pariser Élysée-Palast den Fragen der Journalisten.

Gleich zu Beginn ging er auf die »Gelbwesten« ein, deren anhaltender Protest ihn erst zu einer gewissen Korrektur seines Regierungsstils gezwungen hat. Er zeigte Verständnis dafür, dass diese »beispiellose Bewegung« schnellere und radikalere Veränderungen eingefordert habe, »damit das französische Volk seinen Teil zum Fortschritt in einer unsicheren Welt beitragen« könne. Zugleich warf er den Aktivisten vor, zwischen dem Wunsch nach »absoluter Demokratie« und einer »autoritären Faszination« hin- und hergerissen zu sein. Die Bewegung sei dann abgeglitten in »Gewalt, Antisemitismus, Homophobie«, es habe Angriffe auf Journalisten und Polizisten gegeben. Auf die brutale Polizeigewalt der vergangenen Monate und Tausende verletzte Demonstranten ging er mit keinem Wort ein.

Ansonsten bot die Rede einen bunten Strauß an Themen, der offenkundig jedem etwas bieten sollte. Nicht ungeschickt räumte Macron ein weitverbreitetes Gefühl der Ungerechtigkeit ein, viele Menschen fühlten sich auch von den Institutionen rücksichtslos behandelt. Er sprach Altersarmut, die Lage von alleinerziehenden Frauen und Erwerbslosen an, forderte einen Ausbau der frühkindlichen Erziehung nach dem Beispiel Finnlands, Klimaschutz und die Bekämpfung der Migration. Der Schengen-Raum mit seinem freien Grenzverkehr müsse wiederhergestellt werden, verlangte er. Allerdings könne es sein, dass diesem künftig weniger Länder angehören: »Ich möchte im Schengen-Raum keine Staaten mehr haben, die für Freizügigkeit sind, aber nicht für eine Lastenteilung.« Weiter sprach er sich für den Säkularismus aus. »Unsere Stärke« sei das aus dem Jahr 1905 stammende Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche, »es muss bekräftigt und voll angewendet werden«. Konkret nannte er in diesem Zusammenhang allerdings nur Bestrebungen des »politischen Islams«, der sich »von der Republik abspalten« wolle. Die zunehmenden Aktivitäten christlicher Fundamentalisten auch in Frankreich umging er. Weiter sprach sich der Staatschef für eine Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung aus. Behörden und vor allem medizinische Dienstleistungen müssten für alle Bürger schnell erreichbar sein. Nachdem er kritisiert hatte, dass der öffentliche Dienst auf seinen höheren Ebenen nicht mehr die Zusammensetzung der Gesellschaft widerspiegele, kündigte er auf Nachfrage an, dass er die als Kaderschmiede geltende Elitehochschule École nationale d’administration (ENA) schließen werde.

Von den Agenturen wurde vor allem seine Ankündigung aufgegriffen, die Einkommenssteuer »für diejenigen, die arbeiten«, senken zu wollen. Zugleich verteidigte er seine im vergangenen Jahr durchgeführte Reform der Vermögenssteuer, auch wenn diese vielfach als »Geschenk an die Reichen« wahrgenommen worden sei. Nun sollen Rentner mit Bezügen unter 2.000 Euro monatlich einen Teuerungsausgleich erhalten. Finanziert werden soll das durch Kürzungen an anderen Stellen, wie Finanzminister Bruno Le Maire am Freitag im Fernsehsender LCI ankündigte. »Jeder Euro aus einer Senkung der Einkommenssteuer muss durch einen Euro aus der Senkung der öffentlichen Ausgaben finanziert werden.« In der Frage- und Antwortrunde hatte Macron bereits eine Verlängerung der Arbeitszeiten angekündigt, auch wenn das gesetzliche Renteneintrittsalter von bislang 62 Jahren nicht angehoben werde.

Aus den Reihen der »Gelbwesten« und der parlamentarischen Opposition hagelte es prompt Kritik. Nach Ansicht von Jacline Mouraud, die als eine der Sprecherinnen der Protestbewegung gilt, werden Macrons Pläne die Lage der Benachteiligten im Land nicht verbessern: »Die großen Vergessenen der Nation sind die mittellosen Arbeiter und Bauern«, wurde sie von der Nachrichtenagentur AFP zitiert. Fabien Roussel, Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei, kritisierte in der Tageszeitung L’Humanité, dass Macron eine Änderung seiner Politik ablehne, sondern nur Details anpassen und die Franzosen mit »Peanuts« abspeisen wolle. Manon Aubry von der Linkspartei La France insoumise erklärte, Macron habe »vielleicht zugehört, aber nicht verstanden«.

Erschienen am 27. April 2019 in der Tageszeitung junge Welt