Letzte Warnung

Zehntausende Menschen haben am Freitag in Caracas mit einer Großdemonstration an das Ende der Militärdiktatur des Generals Marcos Pérez Jiménez vor 57 Jahren erinnert. Am 23. Januar 1958 hatten Einheiten des Militärs und Anhänger der in die Illegalität gedrängten Parteien den Alleinherrscher gestürzt und eine Regierungsjunta errichtet. Der damalige Aufstand gilt heute in Venezuela als verratene Revolution, denn die Hoffnungen auf demokratische Verhältnisse wurden enttäuscht, als die bürgerlichen Kräfte einen Pakt schlossen und die Macht untereinander aufteilten, um die damals starke Kommunistische Partei (PCV) auszugrenzen. Deren rote Fahnen waren am Freitag in den ersten Reihen der Großdemonstration unübersehbar. Gewidmet war sie den »Opfern der Oligarchie in den 50er, 60er, 70er, 80er, 90er und 2000er Jahren«. Dieses Motto schlug eine Brücke von den Opfern der Diktatur über die in den 60er und 70er Jahren während der brutalen Aufstandsbekämpfung getöteten Linken bis zu den Opfern der Putschversuche gegen den damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez 2002 und 2003. Inhaltlich war die Kundgebung jedoch vor allem eine Warnung an die Regierungsgegner, sich angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise in Venezuela nicht wieder auf Abenteuer einzulassen.

Das südamerikanische Land leidet unter dem anhaltenden Ölpreisverfall, denn noch immer ist der Brennstoff die wichtigste Einnahmequelle des Staates. Rund 97 Prozent der im Land kursierenden Dollar stammen offiziellen Angaben zufolge aus den Ölverkäufen. Zwar hatte die Nationalversammlung im vergangenen Jahr für den Staatshaushalt 2015 vorsichtshalber schon mit geringeren Einnahmen kalkuliert, doch der Spielraum verringert sich weiter. »Es ist offensichtlich, dass es einen harten Einbruch bei den Deviseneinnahmen des Landes gibt«, räumte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am vergangenen Mittwoch bei seinem jährlichen Rechenschaftsbericht vor den Abgeordneten der Nationalversammlung unumwunden ein. »Wir sind gezwungen, die Einnahmen zu optimieren, neue Einnahmen zu generieren und die grundlegenden Investitionen für das Funktionieren der Gesellschaft, zur Versorgung mit Lebensmitteln, für Bildung, Gesundheitswesen und die Wirtschaft vorzunehmen.« Trotz der schwierigen Lage soll die traditionell zum 1. Mai vorgenommene Erhöhung der Mindestlöhne und Renten auf den 1. Februar vorgezogen werden. Um 15 Prozent steigen die Einkommen der Beschäftigten, was den Staatshaushalt mehr als eine Milliarde US-Dollar kostet. Um diese aufbringen zu können, sollen die Abgeordneten in den nächsten Tagen die Aufnahme eines Sonderkredits billigen. Bereits im vergangenen Jahr waren die Einkommen der Beschäftigten dreimal erhöht worden, doch diese Steigerungen wurden von der Inflation weitgehend aufgefressen. Gegen diese kündigte Maduro eine Reform der Währungspolitik an, die offenbar auch eine Lockerung der bisher strengen Ausfuhrkontrolle für Devisen beinhalten soll. Mit Fernsehspots bereitet die Regierung die Venezolaner auch auf eine Erhöhung der bislang lächerlich geringen Benzinpreise vor.

In Venezuela werde ein Wirtschaftskrieg geführt, um die Regierung zu stürzen, warnte Maduro sowohl im Parlament als auch am Freitag in seiner von allen Rundfunk- und Fernsehsendern übertragenen Ansprache bei der Großdemonstration. »Wir drohen niemandem, denn wir sind Menschen des Friedens«, unterstrich der Staatschef, »doch dies ist meine letzte Warnung an die Kapitalisten.« Konkreter wurde er nicht. Seit Monaten wirft die Regierung den noch weitgehend in privater Hand befindlichen Handels- und Transportunternehmen vor, Waren gezielt zurückzuhalten und so künstlich zu verknappen. Die staatlichen Medien zeigen nahezu regelmäßig spektakuläre Bilder von Razzien, bei denen Polizisten Tonnen gehorteter Lebensmittel beschlagnahmen.

Die katholische Kirche hat derweil nichts anderes zu tun, als vor »Totalitarismus« zu warnen. »Das größte Problem und die Ursache für die allgemeine Krise«, heißt es in einer am 12. Januar von der venezolanischen Bischofskonferenz herausgegebenen Erklärung, »ist die Entscheidung der nationalen Regierung und der anderen Organe der öffentlichen Gewalt, ein politisch-ökonomisches System von sozialistischer, marxistischer oder kommunistischer Ausrichtung durchzusetzen«. Die Kommunisten, die in den vergangenen Wochen immer lauter radikale Maßnahmen gegen die Spekulanten gefordert haben, verstehen solche Parolen der Bischöfe als gegen sie gerichtete Drohung. Nicht ohne Grund: In der vorigen Woche drangen unbekannte Täter in das Wohnhaus des kommunistischen Parlamentsabgeordneten Yul Jabour ein und zerstörten dessen in der Garage geparktes Auto. Gestohlen wurde nichts, deshalb geht die PCV von einer gezielten Aktion zu ihrer Einschüchterung aus. Der Übergriff weckt düstere Erinnerungen: Im vergangenen Oktober wurde der sozialistische Abgeordnete Robert Serra in seinem Wohnhaus ermordet.

Erschienen am 26. Januar 2015 in der Tageszeitung junge Welt