Langer Marsch

Während sich in Katalonien heute nachmittag ab 17.14 Uhr Hunderttausende die Hand reichen wollen, um mit einer 400 Kilometer langen Menschenkette für die Unabhängigkeit der Region von Spanien zu demonstrieren, drohen im benachbarten Valencia Auseinandersetzungen. Die spanische Regierung verbot am Montag offiziell die in der ebenfalls katalanischsprachigen Region geplante Verlängerung der Kette. Begründet wurde dies mit der Verkehrssicherheit. Denn während die Behörden Kataloniens für die Demonstration wichtige Fernstraßen gesperrt haben, will die von der rechten Volkspartei (PP) gestellte Regionalregierung Valencias – die einen prospanischen Kurs fährt – keine Unterstützung für die »Via Catalana« leisten.

 

Die Konfrontation zwischen den valencianischen Katalanisten und der spanischen Region demonstriert einmal mehr, warum die Fronten zwischen einem nach Eigenständigkeit strebenden Katalonien und dem auf Zentralismus beharrenden Madrid so festgefahren sind. In den vergangenen Jahren hatte es ausgehend von Barcelona mehrere Versuche gegeben, die Lage durch neue juristische Regelungen zu entspannen. 2006 wurde etwa in langen Verhandlungen zwischen den katalanischen Parteien und der damaligen, sozialdemokratisch geführten Regierung in Madrid ein neues Autonomiestatut ausgehandelt. Zähneknirschend, weil viele Forderungen nicht erfüllt worden waren, stimmten die Parteien im Parlament und die Katalanen in einer Volksabstimmung dem neuen Statut zu. Doch die PP klagte vor dem Verfassungsgericht gegen die neuen Bestimmungen, und 2010 erklärten die Richter entscheidende Teile des Statuts für illegal. »Wäre das Statut damals umgesetzt worden, wäre die Forderung nach Unabhängigkeit erledigt gewesen«, kommentierte dieser Tage die in Barcelona erscheinende Tageszeitung El Punt Avui die Bedeutung des Dokuments.

In der Folge bemühte sich die von der konservativen CiU geführte Regierung Kataloniens, mit Madrid zumindest ein Steuerabkommen auszuhandeln, wie es etwa auch mit dem Baskenland und Navarra existiert. Bislang fließen alle Einnahmen der autonomen Regionen nach Madrid, von wo aus dann die Gelder zurückverteilt werden – für Katalonien ein heftiges Verlustgeschäft. »Unser Geld fließt in Regionen, in denen nichts damit angefangen wird«, beklagt Sergi Perelló. Der Vizegeneralsekretär der linken, für eine Unabhängigkeit Kataloniens eintretenden Gewerkschaft Intersindical-CSC, erinnert im Gespräch mit jW unter anderem an den Geisterflughafen Castellón. Dieser Airport wurde zwar 2011 offiziell eingeweiht, wird aber bis heute von keiner einzigen Gesellschaft angeflogen. Zudem habe Spanien inzwischen nach China das weltweit längste Netz an Hochgeschwindigkeitszügen – die oftmals fast leer unterwegs sind. In Katalonien könnten gleichzeitig Investitionen für wichtige Verkehrsverbindungen nicht vorgenommen werden, weil das Geld fehlt.

Mit der katalanischen Regierung hat seine Gewerkschaft praktisch einen Waffenstillstand geschlossen, auch wenn deren neoliberale Politik von der CSC abgelehnt wird. Kataloniens Präsident Artur Mas rief am Montag selbst indirekt zur Teilnahme an der Menschenkette auf, die die Welt beeindrucken werde. Sie werde mehr Menschen zusammenbringen als vor 50 Jahren die Kundgebung mit Martin Luther King in Washington, als dieser die berühmten Worte »I have a dream« ausrief, prognostizierte Mas, der sich selbst ansonsten um konkrete Aussagen zur Unabhängigkeit herumdrückt. Die veranstaltende Katalanische Nationalversammlung (ANC) hofft sogar auf mehr Teilnehmer als bei der Großdemonstration im vergangenen Jahr, als in Barcelona 1,5 Millionen Menschen für die Unabhängigkeit auf die Straße gegangen waren.

Erschienen am 11. September 2013 in der Tageszeitung junge Welt