Kriegszustand in Pando

{mosimage}Die bolivianischen Streitkräfte haben Cobija, die Hauptstadt des Departamentos Pando, besetzt. Wie der Rundfunksender Radio Erbol meldet, stießen die Regierungstruppen dabei in der Nacht zum Sonntag (Ortszeit) nur auf schwachen Widerstand bewaffneter Gruppen, die den Präfekten der Region, Leopoldo Fernández, unterstützen. Am Vortag hatte die Zentralregierung seine Verhaftung angekündigt.

Fernández wird für ein Massaker verantwortlich gemacht, bei dem am Donnerstag nahe der Ortschaft Porvenir jüngsten Angaben zufolge bis zu 30 Bauern ermordet worden waren. Veimar Becerra, ehemaliger Generalsekretär der verfassunggebenden Versammlung Boliviens, sprach sogar von bis zu 70 Opfern, die wie Tiere abgeschlachtet worden seien. Fernández sei offenbar zusammen mit den Mördern nach Brasilien geflüchtet. Die Täter hatten das Feuer auf eine friedliche Demonstration von etwa 1000 Menschen eröffnet, die gegen den Präfekten Leopoldo Fernández und die von dessen Politik ausgehende Gewalt protestieren wollten. Eine Überlebende sagte, die Mörder hätten auch Frauen und Kinder nicht verschont, sie selbst habe nur überlebt, weil sie sich hinter Felsen versteckt habe. Für Boliviens Innenminister Alfredo Rada handelt es sich um das schrecklichste Massaker an Bauern in der demokratischen Geschichte Boliviens. Er sagte, das Verbrechen dürfe nicht ungesühnt bleiben. Hauptverantwortlicher für den Mord sei Leopoldo Fernández, der von Medien bereits als »Schlächter von Porvenir« bezeichnet wird.

Als Reaktion auf das Massaker hatte die Regierung am Freitag den Kriegszustand über Pando verhängt. Dem Regierungsdekret zufolge sind in dem Departamento bis auf weiteres das Tragen von Waffen ebenso verboten wie Kundgebungen, Demonstrationen, Streiks und Straßenblockaden, »die den normalen Verlauf der Aktivitäten im Departamento Pando behindern«. Nachts sind Versammlungen von mehr als drei Menschen und der Autoverkehr untersagt, Versammlungen müssen vor Beginn von der nationalen Polizei genehmigt werden. Für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung sind die nationalen Streitkräfte zuständig. Leopoldo Fernández jedoch rief seine bewaffneten Stoßtrupps auf, dem »mißbräuchlichen Ausnahmezustand eines Prahlhanses« Widerstand zu leisten.

Die in Opposition zur sozialistischen Regierung des Präsidenten Evo Morales stehenden Präfekten der Departamentos Pando, Santa Cruz, Beni und Tarija – dem sogenannten Halbmond– widersetzen sich der Umverteilung des Reichtums des Landes zugunsten der ärmsten Schichten der Bevölkerung und streben den Sturz der sozialistischen Regierung an. Dabei stützen sich diese Präfekten auch auf rassistische Gruppierungen, die offen faschistische Symbole wie das Hakenkreuz zeigen. Mit der Forderung nach einer in der geltenden Verfassung nicht vorgesehenen Autonomie betreiben sie außerdem eine Politik, durch die ein Zerfall des Landes droht. Unterstützt werden sie dabei mehr oder weniger offen durch die US-Administration in Washington, deren Botschafter in La Paz, Philip Goldberg, deshalb in der vergangenen Woche zur Persona non grata erklärt und ausgewiesen wurde. Honduras hat unterdessen in dieser Sache seine Solidarität mit Bolivien erklärt. Die Regierung in Tegucigalpa verschob die Akkreditierung des US-Botschafters auf unbestimmte Zeit. Präsident Manuel Zelaya erklärte am Freitag, Honduras breche die Beziehungen zu den USA nicht ab, unterstütze aber Venezuela und Bolivien.

Erschienen am 15. September 2008 in der Tageszeitung junge Welt