Kriegspläne in Washington

Im Februar schien eine ausländische Militärintervention in Venezuela unmittelbar bevorzustehen. Juan Guaidó, der sich wenige Wochen zuvor selbst zum »Übergangspräsidenten« des südamerikanischen Landes erklärt hatte, forderte von den rechtsgerichteten Regierungen des Kontinents, »alle Optionen« müssten auf dem Tisch bleiben, um das »Regime« des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro zu stürzen. »Alle Optionen« war die Formulierung, mit der die US-Administration bereits im vergangenen Jahr umschrieb, dass sie einen Einsatz ihrer Soldaten gegen Caracas nicht ausschließen wolle.

Rund zwei Monate später scheint zumindest die unmittelbare Kriegsgefahr vorläufig eingedämmt zu sein. Eine Intervention in Venezuela sei »ausgeschlossen«, erklärte Guaidó am vergangenen Montag im Gespräch mit der argentinischen Tageszeitung Clarín. »Wir haben die militärische Option niemals auf den Tisch gelegt«, behauptete er weiter.

Bei seinen Anhängern scheint sich das nicht herumgesprochen zu haben. Als US-Außenminister Michael Pompeo am vergangenen Sonntag zusammen mit Kolumbiens Staatschef Iván Duque die Stadt Cúcuta an der Grenze zu Venezuela besuchte, wurden sie dort nach Angaben der Deutschen Presseagentur von »Exilvenezolanern« begrüßt. »Sie skandierten ›Freiheit, Freiheit‹ und forderten mit Sprechchören ein militärisches Eingreifen in dem Krisenland: ›Wer sind wir? Venezuela!‹, riefen sie. ›Was wollen wir? Intervention!‹« Die Agentur erinnerte auch daran, dass Guaidó selbst mehrfach auf Artikel 187 der venezolanischen Verfassung verwiesen habe, nach dem das Parlament einen Einsatz ausländischer Soldaten genehmigen kann. Einer so legitimierten Invasion erteilte jedoch bereits der US-Sonderbeauftragte für Venezuela, Elliot Abrams, eine Absage. Anfang Ap ril sagte er dem kolumbianischen Radiosender Caracol, ein Militäreinsatz auf der Grundlage dieses Verfassungsartikels sei »voreilig«. Zugleich bekräftigte er noch einmal, dass »alle Optionen« auf dem Tisch lägen.

Konkret debattiert wurde eine Intervention offenbar am 10. April in Washington bei einer vertraulichen Runde im regierungsnahen Thinktank »Center for Strategic and International Studies« (CSIS). Das Internetportal The Grayzone veröffentlichte am vergangenen Wochenende die Teilnehmerliste dieser Beratung. Laut dieser kamen zu dem Treffen unter anderem Stephen Dreikorn vom US-Außenministerium, mehrere Vertreter der Regierungsagentur USAID, Kolumbiens Botschafter Francisco Santos und weitere Diplomaten aus den Nachbarländern Venezuelas, Vertreter Guaidós sowie der frühere Kommandeur der US-Truppen in Südamerika, Admiral Kurt Tidd. Sie wollten eine »Einschätzung des Einsatzes militärischer Gewalt in Venezuela« vornehmen, wie der offizielle Titel lautete. Eine weiterer schillernder Name auf der Gästeliste war Roger Noriega, ehemaliger Vizeaußenminister unter George W. Bush. In der Amtszeit von US-Präsident Ronald Reagan war Noriega auch in die Iran-Con­tra-Affäre, die illegale Finanzierung der konterrevolutionären Banden im sandinistischen Nicaragua, verwickelt.

Bei dem Treffen in Washington soll Noriega vorgeschlagen haben, eine Söldnerarmee zu bilden und auszurüsten, um Maduro zu stürzen. Die Kosten für diese Truppe könne dann aus den Mitteln des venezolanischen Erdölkonzerns PDVSA bzw. dessen US-Tochter Citgo bezahlt werden, deren Konten Washington zu Jahresbeginn blockiert hatte.

»Diese Art krimineller Akte stellen nach dem internationalen Recht Schwerverbrechen dar, Krieg ist ein Aggressionsverbrechen«, sagte Venezuelas UN-Botschafter Samuel Moncada dazu am Dienstag dem Fernsehsender Telesur. Die USA hätten auch zwei weitere Möglichkeiten ins Auge gefasst, so Moncada weiter. Zum einen könne Washington die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) benutzen, um eine internationale Truppe gegen Venezuela aufzustellen. Das könne sich in der kommenden Woche konkretisieren. Dann soll nämlich ein Vertreter des Putschisten Juan Guaidó, Gustavo Tarre, den bisherigen Sitz der venezolanischen Regierung im OAS-Generalrat einnehmen. Eine Mehrheit der OAS-Mitgliedsstaaten hatte diesen am 9. April als Repräsentanten Venezuelas bei der Organisation anerkannt, obwohl das Land 2017 seinen Austritt aus der Organisation erklärt hatte, der Ende April in Kraft tritt. Die Washington hörige OAS will das offenbar ignorieren. Tarre werde in der kommenden Woche fordern, »humanitäre Hilfe« auch mit militärischer Unterstützung über die Grenze zu bringen, warnte Moncada

Eine dritte Option könne sein, die venezolanische Regierung der Unterstützung der kolumbianischen Guerillaorganisation ELN zu bezichtigen und damit ein Vordringen von Truppen Bogotás über die Grenze zu rechtfertigen. Bereits im vergangenen November hatte die Nachrichtenagentur Reuters gemeldet, die USA wollte Venezuela in ihre Liste von Staaten aufnehmen, die nach ihrer Ansicht den Terrorismus unterstützen. Bisher stehen Nordkorea, der Iran, der Sudan und Syrien auf dieser schwarzen Liste.

Erschienen am 20. April 2019 in der Tageszeitung junge Welt