Kriegsgrund gesucht

Dumm gelaufen für US-Verteidigungsminister James Mattis: Er musste einräumen, die Administration in Washington habe keine Beweise dafür, dass die syrische Regierung am vergangenen Sonnabend in der Stadt Duma einen Giftgasangriff verübt hat. Wie der US-Sender CBS berichtete, erklärte Mattis am Donnerstag (Ortszeit) bei einer Anhörung vor dem Kongress: »Ich glaube, dass es einen Chemiewaffenangriff gegeben hat. Wir suchen nach dem aktuellen Beweis.« Die USA selbst hätten allerdings keine Kräfte vor Ort, »deshalb kann ich Ihnen nicht sagen, dass wir Beweise hätten, auch wenn wir über viele Indizien aus den Medien und sozialen Netzwerken verfügen, dass entweder Chlorgas oder Sarin eingesetzt wurde.«

Am vergangenen Sonnabend hatten die »Weißhelme« und andere Organisationen aus dem Umfeld der syrischen Islamisten von einem angeblichen Giftgaseinsatz in der zur Ostghuta gehörenden Stadt Duma berichtet. Ein Hubschrauber habe ein Fass mit dem chemischen Kampfstoff abgeworfen, hieß es. Als Beleg wurden Videoaufnahmen verbreitet, auf denen offenbar verletzte Kinder zu sehen sind, die von Helfern versorgt werden. Kaum kursierten diese Bilder im Internet, verurteilte US-Präsident Donald Trump über Twitter den »sinnlosen chemischen Angriff« und machte ohne Umschweife die Schuldigen aus: »Präsident Putin, Russland und Iran sind dafür verantwortlich, das Tier Assad zu unterstützen.« Am Mittwoch legte er nach und drohte Russland wieder über Twitter mit dem Einsatz »netter, neuer und ›intelligenter‹« Raketen. Von einem Reporter darauf angesprochen, ob die US-Administration genügend Beweise habe, um solche Anschuldigungen zu erheben, antwortete Mattis am Donnerstag: »Wir arbeiten noch daran.«

Facebook-Filmchen als Rechtfertigung für den Krieg? Dem Sprecher der deutschen Bundesregierung, Steffen Seibert, reicht das offenbar. Er sagte am Freitag in Berlin, es gebe »schwere Indizien«, die auf einen Chemiewaffeneinsatz der syrischen Regierung hindeuten. Damit antwortete er auf die Frage, ob das Kabinett die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron behaupteten Beweise für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz kenne. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bekräftigte, der mögliche Einsatz von Chemiewaffen in Syrien dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wichtig sei ein geschlossenes Auftreten des Westens, um den Druck auf Russland zu erhöhen, wurde er von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert.

Auch das Büro der britischen Premierministerin Theresa May teilte nach einem Telefonat zwischen beiden Regierungschefs am Donnerstag abend mit, diese sei sich mit Trump einig, dass das »Assad-Regime« ein »gefährliches Verhalten« hinsichtlich des Einsatzes chemischer Waffen an den Tag lege. Der Einsatz solcher Waffen dürfe »nicht unbeantwortet« bleiben. Die kommunistische Tageszeitung Morning Star forderte daraufhin auf der Titelseite ihrer Freitagausgabe: »Treibt uns nicht in einen weiteren illegalen Krieg!« Für Sonnabend ist eine Protestkundgebung vor Mays Amtssitz in der Londoner Downing Street No. 10 geplant.

Ebenfalls am Sonnabend sollen Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Syrien eintreffen und ihre Untersuchungen in Duma aufnehmen. Das bestätigte die OPCW am Donnerstag abend. Russlands Außenminister Sergej Lawrow bedauerte am Freitag, dass die Experten nicht schon eher nach Syrien entsandt worden seien. Er hoffe, dass sich die Delegation der OPCW nun ohne Verzögerung an den Schauplatz des mutmaßlichen Ereignisses begeben werde. Russische Spezialisten hätten dort keine Belege für den Einsatz chemischer Waffen gefunden. Vielmehr habe man »unwiderlegbare Beweise« dafür, dass der angebliche Giftgasangriff »inszeniert« worden sei, zitierte die Nachrichtenagentur TASS den Diplomaten. Darin seien Geheimdienste eines Landes verwickelt, »das nun versucht, in der ersten Reihe der russophoben Kampagne zu stehen«.

In Deutschland hat diese Kampagne bislang keinen Stimmungsumschwung erreicht. Einer am Freitag veröffentlichten Umfrage des ZDF zufolge lehnen 78 Prozent der Befragten einen militärischen Einsatz westlicher Staaten in Syrien ab. Die Drohung von US-Präsident Donald Trump mit einem Raketenangriff weisen demnach 90 Prozent der Befragten zurück. 56 Prozent fürchten, dass eine US-Aggression in Syrien zu direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und Russland führen könnte. Trotzdem halten sich die Proteste auf der Straße noch in Grenzen. Für Freitag abend hatte die Friedensbewegung in Hamburg zu einer ersten Kundgebung gegen die drohende Eskalation in Syrien aufgerufen. »Der völkerrechtswidrige Einsatz fremder Truppen in Syrien hat unermessliches Leid über die syrische Bevölkerung gebracht und muss sofort beendet werden«, heißt es in dem Aufruf des Hamburger Forums für Frieden und Völkerverständigung. »Wir sagen nein zum Krieg und fordern die Bundesregierung auf, alle Angehörigen der Bundeswehr aus Syrien und den umliegenden Regionen sofort abzuziehen.«

Erschienen am 14. April 2018 in der Tageszeitung junge Welt