junge Welt, 18. Juli 2012

Krieg gegen Fischer

junge Welt, 18. Juli 2012Beim Beschuß eines indischen Fischerbootes durch die »USNS Rappahannock«, einem Versorgungsschiff der US-Kriegsmarine, ist am Montag abend vor der Küste von Dubai ein Besatzungsmitglied getötet worden, drei weitere Männer wurden verletzt. Das Kommando der im Persischen Golf und im Arabischen Meer kreuzenden Fünften Flotte bestätigte in einem dürren Kommuniqué, das Motorboot habe sich in schneller Fahrt dem Kriegsschiff genähert und nicht auf Warnungen reagiert. Daraufhin habe man die tödlichen Schüsse abgegeben. »Der Vorfall wird untersucht«, heißt es – ein Ausdruck des Bedauerns über die getöteten Zivilisten fehlt. Gegenüber dem Fernsehsender Al-Dschasira verteidigte Lieutenant Greg Raelson als Sprecher der Flotte den Angriff auf das unbewaffnete Fischerboot ausdrücklich: »US-Schiffe haben ein ihnen innewohnendes Recht auf Selbstverteidigung gegen mögliche Bedrohungen. Die Sicherheit unserer Schiffe und unseres Personals hat höchste Priorität.« Es blieb der US-Botschaft in Neu-Delhi vorbehalten, den Hinterbliebenen ihr »Beileid« auszusprechen.

Augenzeugen bestritten gegenüber örtlichen Medien, daß es Warnungen gegeben habe. Zudem habe die »USNS Rappahannock« nach den tödlichen Schüssen ihre Fahrt fortgesetzt, ohne sich um die Opfer zu kümmern.

In Indien hat der Zwischenfall Erinnerungen an den Tod von zwei Seeleuten im Februar vor der Küste des Bundesstaates Kerala geweckt. Sie waren von Angehörigen der italienischen Kriegsmarine erschossen worden, die als Begleitschutz auf einem Frachter mitgefahren waren und die Fischer für Piraten hielten. Den beiden Italienern, die von der indischen Küstenwache festgenommen worden waren, wird derzeit in der südindischen Hafenstadt Kochi der Prozeß gemacht.

Der US-Journalist und Pulitzerpreisträger Mark Thompson äußerte in einem Artikel für »Battleland«, einem militärpolitischen Internetportal des Nachrichtenmagazins Time, die »USNS Rappahannock« habe das sich nähernde Boot möglicherweise für iranische Angreifer gehalten. Bereits im vergangenen Jahr habe Vizeadmiral Mark Fox vor Angriffen der Islamischen Republik auf US-Einheiten »mit Kleinbooten, kleinen U-Booten oder vielleicht Selbstmordschiffen« gewarnt. Die tödlichen Schüsse auf die indischen Fischer seien jedoch eher mit dem Abschuß eines Verkehrsflugzeugs der Iran Air durch die »USS Vincennes« 1988 zu vergleichen. Diese war von den US-Marines mit einer F-14 verwechselt worden. Alle 290 Passagiere wurden getötet, unter ihnen 66 Kinder.

Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums kritisierte am Dienstag in Teheran die Präsenz der US-Marine in der Golfregion. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sagte er, ausländische Streitkräfte seien eine Bedrohung für die Sicherheit am Golf. Besser sei es, wenn die Anrainerstaaten bei der Sicherheit enger zusammenarbeiten würden. Washington setzt hingegen auf einen weiteren Ausbau der militärischen Stärke. Wie das Pentagon am Montag ankündigte, wird der Flugzeugträger »USS John C. Stennis« noch im Sommer und damit vier Monate früher als ursprünglich geplant in die Region verlegt. Die Entscheidung habe jedoch »nicht direkt« etwas mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran zu tun, sagte der Sprecher der US-Verteidigungsministeriums, ­George Little.

Erschienen am 18. Juli 2012 in der Tageszeitung junge Welt