junge Welt, 22.11.2016

Krieg gegen den Frieden

In Kolumbien entfesselt die extreme Rechte einen Vernichtungsfeldzug gegen den Friedensprozess. Am Freitag und Samstag wurden im Departamento Caquetá zwei Funktionäre der Bauernorganisation Ascal-G ermordet, ein weiterer bei einem Anschlag schwer verletzt. Drei weitere Morde an Aktivisten ereigneten sich in den vergangenen Tagen in den Departamentos Cauca und Nariño.

Im Visier der »unbekannten Täter« stehen vor allem Angehörige der linken Bewegung Marcha Patriótica, der unter anderem die bekannte Menschenrechtsaktivistin und frühere Senatorin Piedad Córdoba angehört. Seit der Gründung der Organisation vor vier Jahren seien bereits 124 ihrer Mitglieder ermordet worden, erklärte ihr Sprecher David Flórez am Montag im Gespräch mit RCN Radio. Keines dieser Verbrechen sei aufgeklärt worden. Flórez machte paramilitärische Gruppen für die Morde verantwortlich. Diese ultrarechten Todesschwadronen seien unter anderem in Gebiete eingedrungen, die nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens im September von den Guerilleros der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) geräumt wurden.

Die FARC reagierten am Montag mit einem offenen Brief an Staatschef Juan Manuel Santos auf die akute Gefahr eines Scheitern des Friedensprozesses. Seit Jahresanfang seien bereits mehr als 200 Menschen der Mordkampagne zum Opfer gefallen, »ein neuer Genozid gegen die Anführer von sozialen und Bauernbewegungen hat begonnen«. Es sei allgemein bekannt, dass hinter den gezielten Tötungen »dieselben Kräfte stehen, die aus dem Krieg, der das Land 52 Jahre ausgeblutet hat, Geld, Macht und Privilegien gewonnen haben«. Diese Kräfte lehnten jedes Friedensabkommen ab, »weil sie wollen, dass der Krieg weitergeht«. In dem Schreiben erinnert die Guerilla an die Ermordung von bis zu 5.000 Mitgliedern der Unión Patriótica (UP) in den 80er Jahren durch Paramilitärs und Drogenkartelle. Die Linkspartei war 1985 gegründet worden, nachdem die FARC und der damalige Präsident Belisario Betancur einen Friedensvertrag unterzeichnet hatten. Dieser Anlauf zu einem Ende des Krieges wurde von der extremen Rechten im Blut erstickt.

Nun droht eine Wiederholung des damaligen Szenarios, nachdem der zwischen Regierung und Guerilla ausgehandelte Friedensvertrag am 2. Oktober in einem Referendum knapp abgelehnt wurde. Die Delegationen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla arbeiteten daraufhin in Havanna eine Neufassung des Abkommens aus, die am Mittwoch den Abgeordneten des kolumbianischen Parlaments vorgelegt werden soll. Wann es dort endgültig verabschiedet wird, war noch unklar. Die Rechte um Expräsident Álvaro Uribe lehnt auch die neue Fassung ab, obwohl dort eine Reihe ihrer »Bedenken« berücksichtigt wurden.

Der oberste FARC-Comandante Timoleón Jiménez alias »Timochenko« forderte am Montag einem Bericht von Telesur zufolge die schnelle Annahme des Dokuments, denn »je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Platz gewähren wir denen, die keinen Frieden wollen«. Er werde noch in dieser Woche nach Bogotá reisen, kündigte der Comandante an. Dort räumten am frühen Samstag morgen 300 Polizisten der Aufstandsbekämpfungseinheiten Esmad ein Camp von Friedensaktivisten, die seit Wochen auf der Plaza de Bolívar für ein Ende des Krieges demonstriert hatten.

Erschienen am 22. November 2016 in der Tageszeitung junge Welt