Krieg der »Maras«

Bei einem Überfall krimineller Banden auf einen vollbesetzten Linienbus in der 140000 Einwohner zählenden Stadt Mejicanos sind am Sonntag in El Salvador 14 Menschen getötet und 16 weitere verletzt worden. Die salvadorianische Polizei präsentierte am Montag abend acht Tatverdächtige, darunter vier Minderjährige, die den »Mara«-Banden angehören sollen.

Dem seit gut einem Jahr amtierenden Präsidenten Mauricio Funes, der als Kandidat der linken Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) gewählt worden war, ist es bislang nicht gelungen, die Gewaltwelle in dem zentralamerikanischen Land einzudämmen. Seit seinem Amtsantritt ist die Zahl der Verbrechen sogar noch angestiegen und liegt mittlerweile Medienberichten zufolge bei durchschnittlich 16 Morden am Tag. »Die Gewalt in unserem Land hat strukturelle Ursachen. Diejenigen, die diese Taten begangen haben, sind Personen, die ihre Werte und den Respekt vor dem Leben verloren haben«, sagte Funes am Montag. Tatsächlich ist die Gewalt zumindest zum Teil ein Erbe des Bürgerkriegs bis 1992. Nach dessen Ende blieben in dem rund 7,3 Millionen Einwohner zählenden Land Schätzungen zufolge mehr als 400000 Feuerwaffen im Umlauf. Diese Zahl stieg in den vergangenen Jahren weiter an, unter anderem durch die Abschiebungspolitik der USA, die straffällig gewordene Zentralamerikaner in ihre Heimatländer deportierten. Diese hatten sich in den Vereinigten Staaten oft kriminellen Banden angeschlossen, deren Strukturen sie nun nach Mittelamerika importierten. Vor allem unter Jugendlichen konnten sie neue Mitglieder rekrutieren. So entstanden die »Maras«, denen heute bis zu 100000 Mitglieder zugerechnet werden. Ihr Name geht möglicherweise auf die Marabuntas zurück, in Südamerika und Afrika vorkommende aggressive Wanderameisen, denen nachgesagt wird, alles auf ihrem Weg zu zerstören.

Um die Gewalt zumindest einzudämmen, hat die FMLN im Parlament einen Gesetzentwurf eingebracht, um den Waffenbesitz besser kontrollieren zu können. Waffenbesitzer sollen genau registriert und Waffen, deren Genehmigung ausläuft, an die Justizbehörden gemeldet werden. Dabei stößt sie aber auf den Widerstand der rechten Opposition, die im Parlament die Mehrheit stellt. In ihren Augen würde durch das Gesetz die »ehrbare Bevölkerung« entwaffnet und damit wehrlos dem organisierten Verbrechen ausgeliefert.

Vor diesem Hintergrund vermutet die Vizepräsidentin des Instituts für juristische Studien (IEJES), Yolanda Guirola, daß hinter der jüngsten Gewaltwelle nicht nur das organisierte Verbrechen steht, sondern auch ein Plan zur Destabilisierung der Regierung steckt. »Niemand sagt, daß es die Opposition ist, aber es könnte Sektoren geben, die daran interessiert sind, daß dieses Land in Instabilität und Armut verharrt«, sagte Guirola gegenüber dem Rundfunksender Mi Gente. Der Rechtsanwalt Juan Ramón Araujo López erinnerte im selben Sender daran, daß mit dem Ende des Bürgerkriegs 1992 nicht alle Probleme gelöst wurden: »Die Akteure im ›bewaffneten Konflikt‹ waren zwei soziale Klassen, die sich nach wie vor im Kampf befinden. Für sie gab es nie ein Friedensabkommen. Zwar sagen einige, daß in El Salvador die Waffen geschwiegen haben, aber ein wirklicher Frieden hat hier bis heute nicht begonnen.«

Erschienen am 23. Juni 2010 in der Tageszeitung junge Welt