Kluger Schachzug

Die Unterzeichnung des Abkommens mit einigen kleineren Oppositionsparteien ist ein geschickter Schachzug der Regierung Venezuelas. Nicht so sehr, weil die politische Bedeutung dieses Schriftstücks sonderlich hoch wäre – dafür sind die Vereinbarungen noch zu unkonkret und das reale politische Gewicht der Vertragspartner zu gering. Doch das Kabinett von Präsident Nicolás Maduro signalisierte damit vor allem international Dialogbereitschaft und den Willen, zu einer Einigung zu kommen – nicht umsonst fand die Zeremonie der Vertragsunterzeichnung im Gebäude des Außenministeriums in Caracas statt. Die fast gleichzeitige Zusage, zu einer Wiederaufnahme des von Norwegen vermittelten Dialogs mit anderen Oppositionsparteien bereit zu sein, zielt in dieselbe Richtung.

Innenpolitisch setzt das Abkommen die Kreise um den »Übergangspräsidenten« Juan Guaidó unter Zugzwang. Während dieser auch fast acht Monate nach seiner Selbsternennung keine greifbaren Fortschritte vorzuweisen hat, können die gemäßigten Oppositionsparteien jetzt darauf verweisen, Erfolge errungen zu haben. Tatsächlich war die Forderung nach einer Neubesetzung des Nationalen Wahlrats (CNE) ein gemeinsamer Nenner aller Regierungsgegner, ebenso wie das Verlangen nach Änderungen im Wahlrecht und bei den Garantien für einen ordnungsgemäßen Ablauf von Abstimmungen. All dies hat die Regierung jetzt zugesagt – wie sie aussehen und wer zum Beispiel über die neuen CNE-Mitglieder entscheidet, ist aber noch längst nicht geklärt.

Das Agieren der Regierung wird die Spaltung unter ihren Gegnern weiter verschärfen, zumal Guaidó unter wachsendem Zeitdruck steht. Seine Selbsternennung am 23. Januar hatte er damit begründet, dass Maduro nicht mehr legal im Amt sei, weil seine Wiederwahl nicht regulär erfolgt sei. Als Parlamentspräsident übernehme er deshalb die »vakante« Präsidentschaft. Allerdings wird der Parlamentspräsident in Venezuela traditionell nur für ein Jahr gewählt, eine Wiederwahl hat es seit Jahren nicht gegeben. Wenn Guaidó im Januar einem Nachfolger an der Spitze der Legislative Platz machen muss – übergibt er diesem dann auch das »Amt« des »Übergangspräsidenten«?

Erinnert sei daran: Der von ­Guaidó zur Legitimation seiner Selbsternennung herangezogene Artikel 233 sieht vor, dass das höchste Staatsamt vom Parlamentspräsidenten übernommen wird, wenn ein gewählter Präsident sein Amt nicht antreten kann – allerdings nur bis zur Durchführung von Neuwahlen. Diese aber müssen innerhalb von 30 Tagen durchgeführt werden – eine Frist, die seit 209 Tagen abgelaufen ist.

Wäre das Ganze nur eine Schmierenkomödie in einem weit entfernten Land, könnte man sich kopfschüttelnd abwenden. Doch die deutsche Bundesregierung hält Guaidó noch immer die Stange. Mit dem Scheitern der Putschstrategie in Venezuela wächst erneut die Gefahr einer militärischen Aggression durch die USA, deren Strohmann Guaidó war und ist. An einer Eskalation wäre Berlin so mitschuldig.

Erschienen am 18. September 2019 in der Tageszeitung junge Welt