Am Brandenburger Tor in Berlin haben sich am Dienstag führende Vertreter des deutschen Staates bei einer Kundgebung versammelt, zu der die Türkische Gemeinde Berlin und der Zentralrat der Muslime aufgerufen hatten. Mit der Aktion unter dem Motto »Zusammenstehen – Gesicht zeigen!« sollten für ein »weltoffenes und tolerantes Deutschland und für Meinungs- und Religionsfreiheit« demonstriert werden. In dem Aufruf zu der Aktion hiess es: »Wir Muslime in Deutschland verurteilen die niederträchtigen Terroranschläge in Frankreich auf das Schärfste. Wir wollen unsere Solidarität mit dem französischen Volk zum Ausdruck bringen.«
Auf der am Pariser Platz vor der französischen Botschaft aufgebauten Bühne versammelten sich gegen 18 Uhr unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), Linken-Chef Bernd Riexinger sowie Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche, der jüdischen Gemeinde und islamische Geistliche. Der Platz vor der Bühne füllte sich hingegen nur zögerlich. Lediglich 3.000 Teilnehmer zählte die Polizei zunächst. Die direkt übertragende ARD sprach bei Abschluss der Kundgebung von 4.000 Menschen. Später rundeten die meisten Medien unter Berufung auf korrigierte Polizeiangaben die Zahl auf 10.000 Demonstranten auf.
Obwohl Anlass für die Kundgebung neben dem Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt in Paris die Morde an den Mitarbeitern der religionskritischen französischen Satirezeitung Charlie Hebdo waren, erinnerte die Veranstaltung über weite Strecken an einen ökumenischen Gottesdienst. Die salbungsvollen Reden der diversen Religionsvertreter unterschieden sich dabei kaum voneinander. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, setzte in seiner Ansprache Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa mit Parolen gleich, die bei Protesten gegen den Gaza-Krieg im vergangenen Sommer gerufen wurden. Während er die Besatzung Palästinas nicht erwähnte, verurteilte er die Raketenangriffe der Hamas auf Israel. Die muslimischen Vertreter hörten ihm mit versteinerten Mienen zu.
Bundespräsident Joachim Gauck beliess es bei Floskeln: »Der Terror ist international, aber das Bündnis der Freien und Friedfertigen ist es erst recht. Die Welt rückt zusammen.« Hinter ihm stand Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, deren Bundeswehr an unzähligen Kriegen weltweit direkt oder indirekt beteiligt ist. Zusammen mit ihren Kabinettskollegen, die an der Festung Europa festhalten, ist sie für Tausende ertrunkene Menschen im Mittelmeer zumindest mitverantwortlich – Männer, Frauen und Kinder, die oft vor denselben Terroristen fliehen, deren Taten in Berlin verurteilt wurden.
Erschienen am 13. Januar 2015 in der Onlineausgabe der Tageszeitung junge Welt