Kidnapper für Christus

Die Verhaftung von zehn US-Bürgern in Haiti schlägt weiter hohe Wellen. Die haitianische Polizei hatte am Samstag die fünf Männer und fünf Frauen nahe der Grenze zur Dominikanischen Republik gestoppt und festgenommen, als diese mit 33 Kindern im Alter zwischen zwei Monaten und zwölf Jahren das Land verlassen wollten. Da die Verdächtigen keine amtlichen Papiere für die Kinder bei sich hatten, geht die haitianische Polizei davon aus, daß sie einem Fall von Kinderhandel auf die Spur gekommen ist. Entgegen den Darstellungen der mutmaßlichen Entführer, die erklärt haben, die Kinder hätten bei dem Erdbeben vom 12. Januar ihre Eltern verloren und sollten nun in ein Waisenhaus im Nachbarland gebracht werden, sagten mehrere Kinder aus, daß ihre Eltern noch lebten. »Ich bin doch keine Waise«, sagte etwa ein achtjähriges Mädchen weinend. Sie glaubte, von ihrer Mutter zu wohlmeinenden Menschen auf einen Kurzurlaub geschickt worden zu sein. Die Eltern waren offenbar mit unrealistischen Versprechungen wie von einem Sommercamp mit Swimmingpool dazu überredet worden, ihre Kinder einer Organisation namens »New Life Children’s Refuge« (NLCR) anzuvertrauen.

Diese Organisation gehört zur christlich-fundamentalistischen »Southern Baptist Convention«, einem Zusammenschluß baptistischer Kirchengemeinden aus den Südstaaten der USA. Aus diesen sind solche Figuren wie der rechtsextreme Fernsehprediger Pat Robertson hervorgegangen, der nach dem Erdbeben erklärt hatte, dieses sei die Strafe Gottes gewesen, weil die Haitianer zur Erlangung ihrer Unabhängigkeit einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten. In einer schwülstigen Projektvorstellung, die auf der Homepage der »Eastside Baptist Church« abgerufen werden kann, heißt es: »NLCR betet und sucht Menschen, die ein Herz für Gott und den Wunsch haben, Gottes Liebe mit diesen wunderhübschen Kindern zu teilen, indem sie ihnen helfen, gesund zu werden und ein neues Leben in Christus zu finden.«

Das haitianische Sozialministerium übergab die Kinder am Sonntag zunächst dem SOS-Kinderdorf Santo in Haiti. Diese kamen dort völlig verstört, hungrig und durstig an und wurden versorgt und medizinisch untersucht. Oberste Priorität habe nun, Eltern und Angehörige der Kinder ausfindig zu machen und sie wieder mit ihren Familien zu vereinen, teilten Sprecher des Kinderdorfes mit.

Erschienen am 2. Februar 2010 in der Tageszeitung junge Welt